Mit der bis Ende Juni angestrebten Visumfreiheit für Türken bei Reisen in die EU wird es wohl nichts. Damit wackelt auch der Flüchtlingspakt. Aus Ankara tönt es: Ohne Visumfreiheit „schicken wir die Flüchtlinge“.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Es rumpelt mächtig zwischen der EU und der Türkei. Nachdem der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu, der seit dem Deal über die Flüchtlingsrückführung in Brüssel als verlässlicher Verhandlungspartner geschätzt wird, seinen Rückzug angekündigt hat, wird die Tonlage immer rauer. Jüngster Tiefschlag ist eine blanke Drohung. Ein Berater des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sagte, wenn das EU-Parlament nicht den Weg frei mache für die Aufhebung des Visumzwangs, „lassen wir die Flüchtlinge los“.

 

Klar ist: Der Flüchtlingspakt zwischen der EU und der Türkei, der bislang Erfolge zeigt und den Schleppern in der Ägäis das Geschäftsmodell genommen hat, hängt an einem seidenen Faden. Die Aufhebung der Visumpflicht – vor wenigen Tagen war sie für Ende Juni geplant – rückt in die Ferne. Jetzt heißt es, sie kommt allenfalls im Oktober. Wenn überhaupt.

Die türkische Seite hat sich das Europaparlament als Buhmann ausgesucht. Dies kann nicht überraschen, dieser Ansatz entspricht wohl dem Demokratieverständnis des autokratischen Herrschers Erdogan. Gereizt haben ihn offensichtlich die Äußerungen vieler Europaparlamentarier in der Visafrage. Parteiübergreifend gab es in Straßburg zuletzt in der Sache nur eine Botschaft: Die Türkei müsse erst alle 72 Kapitel erledigt haben, die ihr die EU-Kommission aufgegeben hat. Vorher könne und werde das Parlament nicht über die Aufhebung des Visumzwangs abstimmen. Ohne die Zustimmung des Parlamentes geht es aber nicht.

Fünf Kapitel sind von Ankara noch nicht erfüllt

Martin Schulz (SPD), Präsident des Europaparamentes stellte den Parlamentsvorbehalt noch einmal unmissverständlich klar: Es sei „absolut außerhalb jeder Diskussion“, dass das Europaparlament auch nur mit den Beratungen beginne, wenn Ankara die Voraussetzungen für die Visumfreiheit nicht erfüllt habe. Schulz setzte noch einen drauf: Er habe deshalb die Vorlage der EU-Kommission nicht an den zuständigen Justizausschuss weitergeleitet. Fünf der 72 Kapitel hat die Türkei immer noch nicht erfüllt. Schulz pocht darauf, dass jeder Punkt abgehakt sein muss. „Es geht nämlich nicht um die Quantität, sondern um die Qualität, und in der Qualität ist es so, dass zwei der wesentlichsten Voraussetzungen, Datenschutz und Anti-Terror-Paket, sichtlich nicht nur nicht erfüllt sind, sondern nicht mal angepackt sind“, bemängelt der SPD-Politiker.

Die Antwort aus der Türkei ließ nicht lange auf sich warten. Noch bevor der türkische Europaminister Volkan Bozkir zu einem Krisengespräch mit Schulz nach Straßburg aufbrach, ließ er wissen, dass es aus seiner Sicht bei den Anti-Terrorgesetzen gar keinen Handlungsbedarf gebe. Er komme nach Straßburg, „um vielleicht ein letztes Mal über diese Dinge zu reden und eine Fehlentwicklung zu verhindern“, polterte er. Das Anti-Terror-Gesetz in der Türkei entspreche ohnehin schon den EU-Standards, eine Änderung sei damit nicht nötig und auch nicht akzeptabel.

Das Europaparlament steht indes nicht allein da. Schulz bekam gestern Unterstützung von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Wenn Erdogan nicht bereit sei, die Kriterien zu erfüllen, „dann wird es keine Visafreiheit geben“, soll er vor der Unionsfraktion im Bundestag gesagt haben.

Die Stimmung ist gereizt

Die EU-Kommission sieht sich derzeit nicht am Zug. Sie hatte vor wenigen Tagen signalisiert, dass die Vorzeichen für die Gewährung der Visaerleichterung Ende Juni gut stünden. Allerdings müsse die Türkei noch die fehlenden fünf Kapitel erledigen, bevor es so weit sei. In der Kommission heißt es: „Wir haben unseren Vorschlag gemacht.“ Nun liege alles weitere in der Hand des EU-Parlamentes und der Mitgliedsstaaten. Allerdings habe man immer klar gestellt, dass es für die Türkei keinen Rabatt wegen des Flüchtlingsdeals geben werde. Das heißt: Alle Punkte müssten erledigt sein.

Ja, die Stimmung ist gereizt, Doch es gibt durchaus auch einen Anlass für Hoffnung. Und dafür sorgte ausgerechnet einer, der aus seiner Geringschätzung für die Rechte des Parlamentes nie einen Hehl gemacht hat: Erdogan persönlich. Er räumte ein, dass es dann wohl nichts mit der Aufhebung der Visapflicht Ende Juni werde. Der ursprünglich angepeilte Oktober-Termin für die Aufhebung des Visumzwanges sei nun wahrscheinlicher. Optimistische Beobachter im EU-Parlament glauben: „Damit hat Erdogan immerhin zu verstehen gegeben, dass er auf das EU-Parlament warten wird.“