Rems-Murr: Sascha Schmierer (sas)
Herr Bizer, wie sehen Sie als Schulleiter die Nachbarschaft zum Sielminger Heim?
Peter Bizer Wir haben hier wirklich keine einzige negative Erfahrung gemacht. Ich weiß ja nicht, wie es den Nachbarn hier geht, die Nächte erlebe ich hier ja nicht. Aber aus Sicht der Schule läuft das völlig unkompliziert. Da waren am Anfang auch Befürchtungen da, die Mädchen würden unterwegs sexuell belästigt oder es gäbe verstärkt Eigentumsdelikte an der Schule – und es ist überhaupt nichts in der Art passiert. Aber wir haben uns natürlich auch für einen sehr bewussten Weg entschieden und gesagt: wenn man die Menschen willkommen heißt und ein Stück weit eine Beziehung zu ihnen aufbaut, dann werden sie anders reagieren, als wenn man sie ablehnt.
Das Engagement des Bonhoeffer-Gymnasiums für die Flüchtlingsarbeit gilt deshalb kreisweit als geradezu vorbildlich.
Bizer Wir hatten sehr viele Asylbewerber in der Schule im Unterricht, wir haben Sprachkurse veranstaltet, es gibt immer noch die Begrüßungskörbe für Neuankömmlinge und vielerlei Begegnungen. Und wir haben die Erfahrung gemacht, dass ein Mensch, der normal gewickelt ist, auf Freundlichkeit eben auch freundlich reagiert. Wir haben aus meiner Sicht kein einziges Mal ein Problem mit Asylbewerbern erlebt. Das mag für Nachbarn hier anders sein, wenn man direkt nebenan wohnt. Aber dieses Schreckgespenst am Anfang, dass es hieß, unsere Schülerinnen seien massiv gefährdet, war völlig unberechtigt. Im Gegenteil, es sind unheimlich viele nette Kontakte entstanden.
Andreas Marquardt Eben, die Ängste und die offenen Fragen hat es anfangs ja auch in Sielmingen gegeben. In der Zwischenzeit spricht allerdings niemand mehr davon. Und weil es eben sehr gut funktioniert und die ganzen Ängste hier eigentlich abgebaut werden konnten, hat mich der Protest aus Harthausen jetzt auch sehr überrascht.
Kritisiert wird von den Anwohnern in Harthausen ja vor allem die Größe und der Standort des geplanten Flüchtlingsheims...
Keck Wir haben in Kirchheim bis zu 280 Flüchtlinge an einem Standort, das funktioniert sehr gut. Wir planen in Hochdorf eine Einrichtung für 240 Menschen. Im Vergleich mit diesen Unterkünften ist ein Flüchtlingsheim für 80 bis 100 Menschen eigentlich nicht sehr groß. Aber man muss auch sehen, dass die Größe entscheidende Vorteile hat: Erstens können sich die Menschen gegenseitig unterstützen, etwa als Übersetzer bei Behördengängen. Und dann gilt: Wenn wir Flüchtlinge auf viele kleine Wohnungen verteilen, wird es mit der sozialen Betreuung unheimlich schwierig, weil die Arbeiterwohlfahrt mehr im Auto sitzt als sie tatsächlich vor Ort sein kann.
Der Kreis wählt bewusst große Lösungen?
Keck Die Situation ist relativ einfach: Weltweit sind sehr viele Menschen auf der Flucht, der Kreis Esslingen muss exakt 5,19 Prozent der Asylbewerber aufnehmen, die das Land nach dem Königsteiner Schlüssel zugewiesen bekommt. Das bedeutet, dass wir bis Jahresende etwa 3900 Flüchtlinge aufnehmen müssen. Das ist kein einfaches Unterfangen im bekanntlich ja am dichtesten besiedelten Landkreis in ganz Baden-Württemberg. Wir versuchen, Quartiere zu bekommen, aber der Wohnungsmarkt ist nahezu leer gefegt. Deshalb müssen wir schauen, wo wir Grund und Boden be-kommen, um selbst zu bauen.
Weinmann Ich habe mir das neulich vor Ort angeschaut – man braucht keine fünf Minuten um im Zentrum von Harthausen zu sein, das mit dem Ortsrand ist nicht so wild. Und dann ist die direkte Umgebung ja nicht nur ein Gewerbegebiet, da sind sehr wohl auch Wohnhäuser – ich weiß nicht, weshalb von Ghettobildung die Rede ist.
Bizer Das haben ja auch die Nachbarn in der Hand, ob das ein Ghetto wird, also Entschuldigung. Ein Ghetto entsteht, wenn sich die einen nicht raustrauen und die anderen drumrum das auch noch befördern!