2800 Menschen warten hier und täglich werden es mehr – die Behelfsunterkunft in einer früheren US-Kaserne in Heidelberg ist hoffnugslos überfüllt, Helfer und Betreute sind gleichermaßen überfordert.

Heidelberg - Vor zwei Tagen haben die ersten Bewohner ihre Feldbetten aus dem Massenquartier im früheren Kasino auf den Sportplatz vor dem Gebäude geschoben – sie schlafen seither im Freien. Drinnen im Saal herrscht dennoch weiterhin drangvolle Enge. Unter den golden schimmernden Kronleuchtern auf glänzendem Parkett, wo vor nicht allzu langer Zeit die Heidelberger US-Soldaten und ihre Familien ihre großen Bälle gefeiert haben, stehen 500 schmale Stockbetten. Ganze Familien „wohnen“ im einstigen Festsaal der US-Siedlung, kilometerweit von der Heidelberger Innenstadt und von jeglicher Zivilisation entfernt. Erwachsene dämmern in der Mittagshitze vor sich hin, ein kleines Mädchen winkt lächelnd aus einer Koje heraus, ein paar Betten weiter weint ein anderes leise vor sich hin.

 

Es ist ein fast surreal anmutendes Szenario. Als die Notunterkunft in der früheren US-Siedlung Patrick-Henry-Village (PHV) Ende 2014 eröffnet wurde, hieß es, 1000 Flüchtlinge sollten dort in den alten Mannschaftsgebäuden entlang des „Saratoga Drive“ behelfsmäßig unterkommen. Inzwischen leben mehr als 2800 Männer, Frauen und Kinder hier. Die ehemalige US-Siedlung ist wie eine Art exterritoriales Gelände, nur dass an den Toren statt der Soldaten nun schwarz gekleidete Sicherheitswachleute Kontrolle stehen. An „Security“, das ist einer der ersten Eindrücke, die man hier draußen bekommt, herrscht in der Unterkunft kein Mangel.

Es gibt nur vier Stellen für Sozialarbeiter

Im Gegensatz dazu hat die Zahl der Betreuer ganz offensichtlich mit der steigenden Zahl der Hilfesuchenden nicht annähernd Schritt gehalten. Auch mehr als sechs Monate nach Eröffnung der Unterkunft, die offiziell als Behelfsmäßige Erstaufnahmestelle (BEA) gilt, gibt es nur vier Stellen für Sozialarbeiter. Man würde gern wissen: Was können sie tun für ihre Schützlinge, wie verständigt man sich, wenn einer weder Deutsch noch Englisch oder Französisch kann? Wo drückt die Betreuten und ihre Betreuer selbst der Schuh am meisten? Doch die Firma European Homecare, die im Auftrag des Regierungspräsidiums für den Betrieb der Unterkunft zuständig ist, hat ihren Mitarbeitern das Reden verboten. Nicht einmal der Leiterin traut man offenbar zu, sich gegenüber der Presse zu äußern. „Es ist sehr schön hier, viel schöner als anderswo“, das ist alles, was einer ihrer Mitarbeiter verlauten lässt.

„Man merkt, es sind alle ge- und überfordert. Es läuft nichts in geregelten Bahnen“, sagt der Pfarrer der freikirchlichen Hoffnungsgemeinde, Axel Klaus. „Ich habe sogar ein gewisses Verständnis dafür, es ist einfach aus der aktuellen Not geboren“, sagt er. Er selbst hat gleich die Initiative ergriffen und kommt seither mit vielen freiwilligen Helfern aus seiner und anderen Kirchengemeinden sowie der Pädagogischen Hochschule regelmäßig, um an drei Nachmittagen in der Woche die Kinder zu betreuen. Zwischen 150 und 180 sind jedes Mal dabei. Demnächst, so hofft er, sollen mit Unterstützung weiterer Träger und Helfer Projekte für Erwachsene starten – Sprachkurse, einen Computerraum und eine Nähstube stellt er sich vor. „Der Bedarf an sinnvoller Beschäftigung ist hoch“, sagt er Pfarrer.

Die Mitarbeiter der Behörden kommen mit der Arbeit kaum nach

Von den Behörden darf man offenbar momentan nicht mehr allzu viel erwarten. „Uns brennt hier der Kittel“, gesteht sichtlich angeschlagen der Vertreter des Regierungspräsidiums. Er musste vor zwei Tagen, als mehrere Flüchtlinge im Kasino-Schlafsaal an einem Magen-Darm-Infekt erkrankten und vier Leute mit Verdacht auf Noro-Virus in die Klinik kamen, eine Quarantäne-Station aus dem Boden stampfen. Der Verdacht auf Noroviren hat sich glücklicherweise nicht bestätigt. Zur Sicherheit will das Regierungspräsidium bis Montag keine neuen Flüchtlinge nach Heidelberg schicken.

Die Behördenmitarbeiter vor Ort, die für Aufnahme von Daten der Hilfesuchenden zuständig sind, kommen auch so mit der Arbeit kaum nach. „Die Flüchtlinge sind schneller da, als Bund und Land die Stellen einrichten können“, sagt deren Vertreter. „Wir warten, warten, warten“, erklärt ein junger Iraker; der seit Anfang Juni mit acht weiteren Männern in einem kleinen Raum lebt. „Die Situation ist schwierig, aber die Leute tun ihr Bestes“, sagt eine junge Mutter, die mit Mann und zwei Kindern aus Tschetschenien geflohen ist. „Ich bin immer wieder überrascht, wie ruhig hier im Wesentlichen alles abläuft“, gesteht Pfarrer Klaus. „Die Mehrzahl der Menschen hier zeigt sich dankbar für jede Hilfe und jedes Angebot“.