Der Europäische Gerichtshof hat Lücken in der Gesetzgebung gefüllt, die von den Fluglinie oft allzu gerne ausgenutzt wurden. Davon profitieren die Passagiere.

Stuttgart - Wie die Zukunft aussehen könnte, hat das Europaparlament in Straßburg am gestrigen Dienstag dargelegt. Ein Passagier soll – ob er nun Bahn, Bus, Schiff oder Flugzeug besteigt – über dieselben Rechte verfügen. Per Resolution forderten die Abgeordneten die „verkehrsträgerübergreifende Stärkung der Passagierrechte“. Dem dafür verantwortlichen Christdemokraten Georges Bach aus Luxemburg schwebt auch vor, dass es an Bahnhöfen, Fährterminals und Flughäfen künftig Informationsstände gibt, wo Betroffene sofort ihr Leid klagen können.

 

Der Ist-Zustand ist für Passagiere in Europa weniger vorteilhaft, obwohl auf dem Papier viel für sie getan wird. Insgesamt sechs EU-Richtlinien räumen Fahr- und Fluggästen mehr Rechte ein, als das im globalen Maßstab der Fall ist. Passagiere müssen in Europa das ihnen Zustehende nicht erst einklagen, es steht ihnen automatisch zu. Zumindest theoretisch: „Bisher ist die Umsetzung der Passagierrechte durch die Beförderungsunternehmen und die nationalen Behörden mangelhaft“, klagt der Luxemburger Bach.

Lücken im Recht mit klaren Worten füllen

Viele Beteiligte haben bereits die Gerichte angerufen, weshalb es in diesem Herbst zu einer Fülle von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) kommt, die sich mit dem Verkehrssektor befassen: Anfang Oktober urteilten die Luxemburger Richter etwa, dass ein Streik wie der des Personals am Flughafen Barcelona im Juli 2006 kein automatischer Grund ist, um deutlich verspäteten Fluggästen keinen Ausgleich zu zahlen. In einem zweiten Urteil, der die finnische Fluggesellschaft FinnAir betrifft, kamen die Richter zu dem Schluss, dass eine entschädigungspflichtige „Nichtbeförderung“ eines rechtzeitig am Flugsteig erschienen Passagiers nicht nur dann vorliegt, wenn eine Maschine überbucht ist, sondern auch wenn andere betriebliche Gründe den Ausschlag gaben. Im konkreten Fall war zwei Spaniern in Madrid das Boarding verweigert worden, weil die Fluggesellschaft Iberia wegen der 85-minütigen Verspätung ihres Zubringerfluges davon ausgegangen war, sie würden es nicht mehr rechtzeitig schaffen – was aber nicht der Fall war.

Zwischen 250 Euro und 600 Euro Ausgleichszahlung

Das gestrige Urteil aus Luxemburg liegt ganz in diesem Trend, Lücken im geltenden Passagierrecht, die die Fluggesellschaften nur allzu gerne ausnutzen, mit klaren Worten zu füllen. So bestätigten die Richter ein Urteil aus dem Jahr 2009, das große Verspätungen einer kurzfristigen Annullierung eines Fluges gleichsetzt. Airlines müssen ihren Kunden in beiden Fällen eine Entschädigung zahlen. Das Unionsrecht sieht vor, dass Passagiere bei einem Flugausfall zwischen 250 Euro und 600 Euro als Ausgleichszahlung erhalten. Nun müssen laut Urteil „Fluggäste verspäteter Flüge den Fluggästen annullierter Flüge in Bezug auf ihren Anspruch auf Ausgleichsleistung gleichgestellt werden“, wie es in der EuGH-Mitteilung heißt. Das gilt, wenn „sie ihr Endziel drei Stunden oder mehr nach der ursprünglich geplanten Ankunftszeit“ erreichen, „es sei denn, die Verspätung ist auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen“.

Die Urteilsflut lässt nicht nur das Europaparlament aufhorchen, das mit seinen Vorschlägen Georges Bach zufolge „den Run auf den EuGH stoppen will“. So hat die EU-Kommission für Dezember einen Gesetzesvorschlag angekündigt – für Flug-, nicht für Fahrgäste. Einer Sprecherin von EU-Verkehrskommissar Siim Kallas zufolge sollen darin außergewöhnliche Umstände wie die Auswirkungen von Streiks und Vulkanausbrüchen genauer definiert werden: „Natürlich fließen die EuGH-Urteile auch in die neue Richtlinie ein.“