Der neue Flughafen öffnet später als geplant. Die meisten Betroffenen vermeiden scharfe Kritik. Man ist schließlich aufeinander angewiesen.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Auf seine alten Tage will es Ernst Exter noch einmal wissen. Mit seiner Currywurstbude am Berliner Wittenbergplatz, gleich gegenüber dem Kaufhaus KaDeWe, ist der Restaurantbetreiber in dreißig Jahren zu einer Institution geworden. Diesen Erfolg möchte der 63-Jährige in Schönefeld wiederholen. Mit einem großen Imbiss im Terminal des neuen Flughafens will er möglichst viele Gäste für seine nicht ganz billige, aber hochgelobte Biocurrywurst begeistern. Unter mehr als 600 Bewerbern bekam er zusammen mit knapp zwei Dutzend Gastronomen den Zuschlag für eine der begehrten Mietflächen.

 

Doch auch für Exter heißt es nun erst mal abwarten. „Wir sind enttäuscht, denn die ganze Mannschaft ist gut vorbereitet und hat sich auf die versprochene Eröffnung am 3. Juni gefreut“, sagt der Unternehmer. Nun versuche man erst mal, den Schaden gering zu halten. Auch am Tag nach der Hiobsbotschaft, wonach sich der Start des Willy-Brandt-Flughafens um mindestens sechs Wochen verzögern wird, hat sich der grauhaarige Gastronom daher wieder in sein Auto gesetzt und ist hinaus auf die Großbaustelle gefahren.

Die Ladenmieter hoffen auf schnelle Hilfe

Dort organisiert er seit Monaten die Einrichtung seines rund 110 Quadratmeter großen Restaurants, wo künftig zwei Dutzend Mitarbeiter seiner Firma Witty’s die Reisenden von morgens um fünf bis nachts um eins mit selbst produzierten Würsten und Sandwiches versorgen sollen. Die Arbeitsverträge sind schon unterschrieben, deshalb hofft Exter nun auf unbürokratische Hilfe, bis der erste Flieger vielleicht Ende August startet. Mit diesem Wunsch ist der Gastronom nicht allein.

Auf der riesigen Baustelle hat die Nachricht vom geänderten Starttermin viele völlig überrascht. Jeder hier wusste zwar, dass der Zeitplan sehr eng gestrickt ist. Viele bekamen den Stress Tag und Nacht am eigenen Leib zu spüren. Aber der Probebetrieb und die Tests laufen seit Monaten planmäßig. Mit zehntausend Komparsen wurden das Einchecken, die Sicherheitskontrollen und die Gepäckabfertigung bis ins letzte Detail simuliert. Alles schien zu laufen.

Wer heute von dem 32 Meter großen Infotower das 970 Hektar große Erweiterungsareal überblickt, sieht kaum noch Kräne, Container und Brachflächen, dafür ein Gewirr von Glasgebäuden, Hallen und Straßen. Die seit Jahren größte Baustelle der Hauptstadt macht keinen unfertigen Eindruck mehr, die Komplexität dieses 2,5 Milliarden-Euro-Projekts lässt sich nur noch erahnen. Allein die Verkehrsanbindung per Autobahn und Schiene war kompliziert genug und verschlang ein Vermögen. Energie- und Wasserversorgung wurden wie für eine 50 000-Einwohner-Stadt konzipiert und errichtet.

Auch andere Zahlen sprechen für sich: Bis zu 27 Millionen Passagiere jährlich soll der künftig drittgrößte Flughafen Deutschlands abwickeln, ein Ausbau auf bis zu 45 Millionen Fluggäste ist möglich. Zwischen den beiden 3600 und 4000 Meter langen Startbahnen ist ein U-förmiges Terminal mit sechs Stockwerken entstanden, dessen lichte Eingangshalle 21 Meter hoch ist und dessen Hauptseite allein schon stolze 715 Meter misst. Es wird ein Airport der langen Wege, denn im Nord- und Südpier werden die Reisenden nochmals je bis zu 350 Meter unterwegs sein.

Der größte Umzug Berlins, die angekündigte „spektakuläre Umzugsnacht“ am 2. Juni, fällt nun aus. Auch die Eröffnungsfeier mit Kanzlerin Merkel und zehntausend Gästen: kurzfristig abgesagt, nur noch eine kleinere Party soll später folgen. Die Flughäfen Tegel und Schönefeld werden weiter in Betrieb bleiben. Eine Blamage für die Bauherren, Planer und die Politiker in den Aufsichtsräten, da sind sich fast alle einig. Der Bund und die Länder Berlin und Brandenburg haben als Gesellschafter des Flughafenbetreibers nun ein weiteres ärgerliches Kapitel der an Pannen und Skandalen reichen Geschichte des neuen Hauptstadt-Luftkreuzes zu verarbeiten.

Zumindest Peter Ramsauer sieht in der Verschiebung auch etwas Gutes: „Berlin kann sich keinen Pannenflughafen leisten“, sagt der Bundesverkehrsminister. Soll heißen: besser der neue Airport startet später, ist dafür aber sicher. Wie die Regierungschefs Klaus Wowereit und Matthias Platzeck (beide SPD) betont auch der CSU-Mann, dass er erst kurzfristig davon erfahren hat, dass die Mängel bei der Entlüftungsanlage des Terminals und deren Steuerung keine pünktliche Eröffnung zulassen. Noch bei der Aufsichtsratssitzung am 20. April sei versichert worden, der Zeitplan sei zu schaffen.

Besonders Flughafenchef Rainer Schwarz und sein Chefplaner Manfred Körtgen stehen unter Druck – und womöglich vor dem Rauswurf. „Macht er jetzt den Abflug?“, titelt ein Boulevardblatt. Die IHK Berlin fordert bereits Rücktritte. Auch im Hause Ramsauer verlangt man rasche Aufklärung. Schon die letzte Verschiebung des zuvor für Herbst 2011 geplanten Starttermins vor knapp zwei Jahren verursachte hohe zusätzliche Ausgaben.

Air Berlin und Lufthansa sind besonders betroffen

Bei einer Aufsichtsrats-Sondersitzung soll Anfang nächster Woche geklärt werden, wie es weitergeht. Dann soll auch ein neuer Starttermin angesagt werden. Bei Air Berlin lässt Konzernchef Hartmut Mehdorn derzeit schon mal rechnen, was der neue Starttermin die zweitgrößte deutsche Fluggesellschaft kosten könnte. Den angeschlagenen Platzhirsch in der Hauptstadt trifft die Absage besonders. Mit fast acht Millionen Passagieren befördert das Unternehmen jeden dritten Fluggast in Berlin, und das soll auf dem neuen Willy-Brandt-Flughafen so bleiben, der vor Palma, Düsseldorf und Wien zur größten Drehscheibe für Air Berlin werden soll. Mit 40 Fliegern wird allein Mehdorns Unternehmen den Airport künftig ansteuern, ein Passagierwachstum von acht Prozent war für den Sommerflugplan einkalkuliert. Man müsse nun sehen, wie das auf den bestehenden Flughäfen zu schaffen sei, heißt es bei Air Berlin. Es soll jedenfalls kein Flug ausfallen. Allzu viel Kritik an den Flughafenbetreibern ist ähnlich wie bei der Lufthansa, die in Berlin einen kräftigen Ausbau plant, offiziell nicht zu hören. Schließlich ist man auch künftig aufeinander angewiesen.

Andere sehen die Vorgänge weniger gelassen. Die Grünen in Berlin fordern bereits einen Krisengipfel von Regierungschef Wowereit und sehen den Senat in der Verantwortung für die zahlreichen Pannen rund um den Flughafen. Seit Monaten gibt es massive Proteste gegen die Flugrouten für den neuen Airport, die ganz anders verlaufen sollen als einst angekündigt. Zehntausende von Bürgern fühlen sich betrogen, fürchten Lärm, Schmutz, Absturzrisiken und den Wertverlust ihrer Immobilien. Die Politik wiederum schiebt die Schuld auf die Deutsche Flugsicherung, die zu spät informiert habe – was die Experten dort zurückweisen.

Die Frage ist: Wie groß wird die Zeche?

Auch neue Schadenersatzansprüche werden mit Sicherheit auf die staatlichen Betreiber- und Planungsfirmen zukommen. Der Handelsverband Berlin-Brandenburg beklagt, dass die 150 Laden- und Restaurantbetreiber im neuen Airport wohl Millionenumsätze durch den späteren Start verlieren. Manchen könne gar der Ruin drohen. Die Flughafenbetreiber haben versprochen, in Härtefällen unbürokratisch einzuspringen. Der Currywurst-Verkäufer Ernst Exter wartet noch auf den ersten Anruf.