Der Flughafengeistliche Otto Rapp verabschiedet sich nach vielen Krisen, aber auch frohen Begegnungen in den Ruhestand.

Stuttgart - An diesem Morgen sind es die Imker aus Gaildorf, die nicht ohne einen Segen in ihren Flieger nach Bari einsteigen wollen. Der evangelische Flughafenseelsorger Otto Rapp rückt mit den Senioren einige Meter von den Check-In-Countern ab, plaudert ein bisschen über die Imkerei, den Fleiß der Bienen und die Schönheiten der Natur, bevor er seinen Segensspruch aus der Tasche holt und den Imkern eine gute Reise wünscht. „Denken Sie an den sicheren Flug der Bienen und vertrauen Sie auf Gott.“ 14 Jahre und zwei Monate war Otto Rapp Seelsorger für die Reisenden und die Mitarbeiter des Stuttgarter Flughafens, am Mittwoch hat er im Trubel des Osterflugverkehrs dort seine letzte Predigt vor dem Ruhestand gehalten.

 

Viel Leid im Terminal erlebt

Das blaue Sofa, das jahrelang in seinem Büro in Terminal 2 stand, hat er schon in seine Wohnung nach Sillenbuch gebracht. Mitnehmen in den Ruhestand wird der Diakon auch die Erinnerungen, zu denen nicht nur die Segnungen der Reisenden und die regelmäßigen Andachten gehören, sondern auch viele traurige Begegnungen. „Es ist nicht einfach, an einer Stelle wie dieser seelisch gesund zu bleiben“, sagt Rapp und denkt an den 11. September 2001, dem Tag, an dem ausgerechnet ein Flugzeug zur Waffe wurde, an die Opfer des Tsunami im Jahr 2004 und an die vielen Todesnachrichten, die er in den 14 Jahren überbringen musste. „Nach dem Tsunami kamen die Menschen in kurzen Hosen und Badeschlappen am Stuttgarter Flughafen an“, erzählt Rapp, der die Not hautnah erlebte. Der Theologe saß mit Menschen am Flughafen, die ihre Partner bei der Flutwelle verloren hatten und die nicht einmal mehr wussten, wer sie abholen sollte. „In den Worten der Menschen war überhaupt keine Struktur mehr“, erinnert sich Rapp, der zuhörte und auch die Heimfahrten für die traumatisierten Urlauber organisierte.

Schmerzhaft in Erinnerung ist dem Seelsorger auch der Tod der jungen Kosovarin, die im März 2007 in Terminal 3 von ihrem Mann mit einer Pistole regelrecht hingerichtet wurde. Eine Stunde später war Otto Rapp am Tatort, sah die riesige Blutlache und die Bemühungen der Polizei, das schreckliche Bild hinter Absperrungen zu verbergen. Die Kapelle und das Büro der Flughafenseelsorger wurden schnell zum Krisenzentrum. Rapp berichtet von Mitarbeitern, die den Mord aus nächster Nähe ansehen mussten, und sich noch Monate später duckten, wenn ein Luftballon platzte. „Der Flughafen hat an diesem Tag seine Unschuld verloren“, sagt der 63-Jährige.

Lebhaft in Erinnerung geblieben ist ihm auch die Notlandung einer Maschine vor ein paar Jahren, zu der er gerufen wurde, weil ein Reisender im Sterben lag und die Ehefrau einen Geistlichen bei sich haben wollte. Rapp sorgte dafür, dass die Frau sich trotz aller Reanimationsversuche von ihrem Ehemann verabschieden konnte. Und er kümmerte sich die nächsten Tage um die Gruppe aus Boston, die angetreten war, um gemeinsam eine Weltreise zu machen und diese abbrechen musste, weil der Motor und Geldgeber des ganzen im Flugzeug einen Herzinfarkt erlitten hatte. „Monate später habe ich von der Ehefrau einen Brief mit einer Einladung nach Boston bekommen“, freut sich der 63-Jährige noch heute.

Häufig hört Rapp nichts vor jenen, denen er beistand

Meist hörte Rapp nichts mehr von den Menschen, die er für Stunden betreute, bevor sie wieder aus seinem Gesichtsfeld verschwanden. So war es auch bei den vielen abgeschobenen Flüchtlingen, die er begleitet hat. „Als ich angefangen habe, wurde jeden Tag jemand abgeschoben, heute sind es nur noch wenige.“ Nicht nur die Zahl der Abschiebungen ist gesunken, auch die Haltung der Behörden hat sich geändert: „Der Umgang ist um einiges menschlicher geworden“, bilanziert Rapp. Dazu beigetragen hat nicht zuletzt ein Runder Tisch, an dem auch die Seelsorger beteiligt waren.

Nicht immer aber gingen die Abschiebungen so gut aus wie die einer syrischen Familie, zu der Otto Rapp gerufen wurde, weil sie beten wollten. Die Christen aus dem Nahen Osten sollten in ihre Heimat zurück, obwohl sich Pfarrer und Lehrer für sie eingesetzt hatten. „Der Vater lief wie ein eingesperrter Tiger umher und die 17-jährige Tochter weinte still vor sich hin“, erinnert sich Rapp. Er sprach mit der Familie das Vaterunser, als die Tür aufging und ein Beamter verkündete, dass die Abschiebung ausgesetzt sei. „Der Beamte erschien uns wie ein Auferstehungsengel.“

Es sind diese Erlebnisse und die Gesichter der fröhlichen Familien vor den Flugreisen, die die andere Seite seines Jobs ausmachen. „Schön ist auch mitanzusehen, wenn sich Menschen nach langer Zeit wiedersehen.“ Otto Rapp wird so schnell nicht mehr durch den Flughafen spazieren und in traurige und frohe Gesichter blicken, dafür sein Nachfolger, der frühere FDP-Landtagsabgeordnete Dieter Kleinmann.