Fernando Alonso gewinnt den Großen Preis von China vor Kimi Räikkönen und Lewis Hamilton. Sebastian Vettel ärgert sich über seinen vierten Platz.

Shanghai - Fanastico. Comfortablo. Perfetta. Complimenti. In vier Wörtern, die durch den Boxenfunk von Ferrari knattern, ist umschrieben, wie dieser Große Preis von China gelaufen ist – zumindest für den Triumphator Fernando Alonso. Der Spanier ist der dritte Sieger im dritten Rennen der Saison, was viel über die Unberechenbarkeit des aktuellen Formel-1-Jahrgangs aussagt. Dass er Kimi Räikkönen und Lewis Hamilton als erste Gratulanten um sich versammelte, und nicht seinen Erzrivalen Sebastian Vettel, der das Podium um die Winzigkeit von 0,203 Sekunden verpasste, stützt die These, dass bei all der gepflegten Langeweile auf dem Shanghai International Circuit auch in dieser Saison wieder die Chaostheorie greifen dürfte.

 

Erst fünf Runden vor Schluss, als er noch einmal frische Reifen geholt hatte, bekam der Titelverteidiger aus Heppenheim den erlösenden Funkspruch mit auf den Weg: „Und jetzt geh, fahre ein Rennen.“ Das Weltmeisterteam von Red Bull hatte sich als Einziger der Favoriten für eine gegensätzliche Reifenstrategie entschieden: Erst mit den harten, haltbaren Gummis anfangen, dann noch einmal ganz kurz auf die weiche, schnellere und schneller verschleißende Mischung umsteigen. Um sich diese Wahl zu lassen, hatte Vettel schon das Top-Ten-Qualifying ausgelassen und war am Ort seines ersten Red-Bull-Sieges lediglich als Neunter gestartet.

Vettels Taktik wäre fast aufgegangen

Sieht man sich die Bilanz der letzten vier Umläufe an, wäre die Taktik auch fast aufgegangen, denn Vettel machte zwischen drei und vier Sekunden pro Runde auf den Silberpfeil von Lewis Hamilton gut. Eine unglaubliche Aufholjagd, es war die beste Action des ganzen Nachmittags in der Smogsonne von Shanghai. Der Mercedes-Sportchef Toto Wolff konnte nicht mehr hinschauen: „Heute habe ich wirklich graue Haare bekommen.“ Doch für den knapp gescheiterten Angreifer im Red Bull gilt: so nah – und dann doch so fern. Dass der Brite, der in seinem dritten Rennen für Mercedes von der Pole-Position gestartet war, seinen zweiten dritten Platz in Folge halten konnte, lag am dichten Verkehr in der Anfangsphase und an einem erstaunlichen langsameren letzten Stopp der Weltrekord-Reifenwechseltruppe von Red Bull. Ein Wagenheber, wie ärgerlich, hatte nicht optimal gearbeitet.

Von neun auf vier, das ist für einen wie Sebastian Vettel eine Enttäuschung, eine herbe – obwohl er mit 52 Punkten immer noch die WM-Führung vor Räikkönen (49), Alonso (43) und Hamilton (40) hält. Vettels großer Gegenspieler aus Oviedo rückt mit seinem ersten Sieg seit vergangenem Juli in Hockenheim und seinem 31. Erfolg insgesamt auf Rang vier der ewigen Bestenliste vor. Ein sauber herausgefahrener und nie wirklich gefährdeter Sieg, den er für das Ego und den Optimismus der ganzen Mannschaft aus Maranello so dringend gebraucht hat. Und der den Ehrgeizigen beinahe kokett macht: „Abwarten, ob wir im Sommer noch vorn dabei sind – erst dann wird man viel klarer sehen, wer am Ende die Titelrivalen sind.“

Rosberg, Sutil und Hülkenberg haben Pech

Für die Ambitionen des Vorjahressiegers Nico Rosberg, der nach 23 Runden mit einem gebrochenen Stabilisator am Mercedes in die Box geschoben wurde, ist der zweite Ausfall im dritten Rennen schon jetzt ein Problem: „Es wird immer schwieriger, das aufzuholen.“ Unglücklich auch Adrian Sutil, der vom Mexikaner Esteban Gutierrez unsanft aus dem Rennen bugsiert wurde, und Nico Hülkenberg, der nach seinen ersten Führungsrunden im Sauber-Rennwagen am Ende bloß Zehnter wurde. Ein Rennen zum Vergessen.

Niemand aber war emotional so geladen wie Sebastian Vettel, auch wenn er das zu überspielen versuchte. Man könne darüber streiten, ob sein Ergebnis als Erfolg oder Misserfolg zu bewerten sei, aber Streit gibt es bei Red Bull ja schon genug (der auf den letzten Platz zurückversetzte Teamrivale Mark Webber schied nach dem ersten Renndrittel durch eine Kollision aus). Vettel gibt zu, dass man sich wohl verzockt hat: „Wir haben das Podium verloren.“ Der Schaden ist mit drei WM-Zählern allerdings nicht zu groß. Die Diskussionen, ob er besser eine Runde früher zum finalen Reifenwechsel gekommen wäre, will er erst gar nicht führen: „Im Nachhinein ist man immer schlauer. Es hat nicht viel gefehlt, die Strategie war richtig. Man kann am Ende nicht anfangen, die Fehler zu suchen. Wenn, dann ist das zu Beginn des Rennens passiert, da sind wir nicht richtig in die Pötte gekommen“, sagte Vettel.

So friedfertig, wie das klingen mag, ist es gar nicht gemeint. Denn sein echter Feind heißt nicht Webber oder Alonso – es sind die Reifen. Der Frust bricht auf die Frage nach seiner Einschätzung der WM-Situation aus ihm heraus: „Kräfteverhältnis? Im Moment ist das ein Scherz, wenn man das ganze Rennen nur auf die Reifen auslegt. Da ist es schwierig zu sagen, wer wie fahren kann. Über die Distanz verliert man fünf Sekunden allein wegen der Reifen, das hat nichts mit Können des Autos und des Fahrers zu tun“, ärgerte sich der Weltmeister aus Südhessen. Einmal zu oft angegriffen oder zu heftig gewehrt – und schon sei alles ruiniert, fuhr er fort. Ob das Rennfahren ihm so noch Spaß mache? „Es ist halt anders“, sagte Vettel diplomatisch. Eine Titelverteidigung hat für ihn mit Offensive zu tun – und nicht mit Zurückhaltung.