Forschung auf hoher See ist harte Arbeit: Gesteinsproben werden vom Meeresgrund geholt und Tiefseefische gefangen. Altgediente Forscher, Studenten und Seemänner arbeiten Hand in Hand. Ein Bericht von einer der letzten Expeditionen des Forschungsschiffs Sonne.

Stuttgart - Damit haben die neun Studenten an Bord des Forschungsschiffs Sonne wohl nicht gerechnet. Meeresforschung im Südatlantik vor der Küste Namibias steht auf ihrem Programm, und Fahrtleiter Reinhard Werner liest ihnen den Dienstplan der nächsten vier Tage vor. Die jungen Biologen und Geoforscher werden in zwei Schichten eingeteilt: Sie haben jeden Tag zwölf Stunden zu arbeiten. Die Zeit auf hoher See muss eben gut genutzt werden, jeder Tag Fahrt auf dem deutschen Forschungsschiff Sonne kostet schließlich fast 40 000 Euro Steuergelder.

 

Also kein Dolce Vita unter dem Südhimmel, sondern beinharte Wissenschaft. Die jungen Menschen aus Namibia, Südafrika und Deutschland lernen innerhalb eines von ihren Heimatländern getragenen Programmes im Sommer 2014 den Alltag eines Forschers auf hoher See kennen – und der ist bestimmt nicht langweilig und bringt laufend neue Überraschungen.

„Das kann ja heiter werden“, steht den Nachwuchsforschern ins Gesicht geschrieben. Im Bewerbungsverfahren für die begehrten Plätze, das der für Meeresforschung und Geowissenschaften zuständige Projektträger Jülich koordiniert, hatte das noch ein wenig anders geklungen: Wie wählt man die richtige Stelle aus, um Gestein für geologische Analysen vom Meeresgrund zu holen? Und wie fängt man mit einem Netz in Tiefen zwischen 500 und 1000 Metern Organismen, die man untersuchen will? So lauteten die Fragen.

Bei Seegang ist das Mikroskopieren nicht einfach

Nun lernen die Studenten den Forschungsalltag von Wissenschaftlern wie Reinhard Werner kennen. Werner arbeitet am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Geomar in Kiel und leitet diese Fahrt der Sonne. Auf hoher See wird nicht nur rund um die Uhr gearbeitet, es wird auch ständig umgeplant. Mal bleibt das Gerät hängen, mit dem die Wissenschaftler Steine von den Steilhängen der Unterwasservulkane bergen. Dann wickelt sich das Kabel der Winde ungleichmäßig auf, mit der das Gerät hochgeholt wird, und verzögert den Zeitplan. Auch das Herunterlassen des Netzes klappt erst im zweiten Anlauf, mit dem die Meeres- und Neurobiologen um Hans-Joachim Wagner und Ulrich Mattheus von der Universität Tübingen mit ihren Kollegen aus London und Saudi-Arabien Organismen in der Tiefsee für Untersuchungen des Sehapparats fangen.

Obendrein zeigt der Südatlantik rund 500 Kilometer vor der Küste Namibias nicht nur sein Sonntagsgesicht mit strahlendem Sonnenschein und spiegelglatter See. Häufiger sind frische Brisen und drei oder vier Meter hohe Wellen, in denen die Sonne rollt und stampft. „Hoffentlich wirken die magischen Pillen der Bordärztin gegen Seekrankheit auch wirklich“, sinniert einer der Studenten. Schließlich droht der Seegang nicht nur die Forschermägen durcheinanderzubringen. Er erschwert die Arbeit besonders dann, wenn man gerade am Heck ohne Reling das Fischnetz einholt. Schutzhelm und Sicherheitsweste gehören daher genau wie bei den Seeleuten zur Standardausrüstung von Forschern und Studenten. Auch das Präparieren eines wenige Zentimeter langen Fisches aus der Tiefsee klappt unter dem Mikroskop besser, wenn das Meer ruhig ist.

Zwei Etagen höher tüftelt Reinhard Werner in der Fahrtleiterkammer auf dem Bootsdeck wieder einmal aus, wie er den Einsatz von Geräten an die widrige Realität anpassen kann. „Dabei sollten Biologen und Geologen gleichermaßen möglichst viel Forschungszeit erhalten“, erklärt er. Das wiederum klappt nur, wenn er mit Kapitän Oliver Meyer den weiteren Ablauf laufend neu abstimmt. Der Kapitän wiederum kann sich auf eine Mannschaft verlassen, die nicht nur das Schiff im Griff hat. Die Seeleute arbeiten auch so gut mit den Forschern zusammen, dass beide Gruppen zu einem Team zu verschmelzen scheinen.

Ein Schraubenschlüssel ist hier immer zur Hand

Jahrelang haben die Forscher die Fahrt vorbereitet. Reinhard Werner möchte zum Beispiel das Alter von Unterwasservulkanen bestimmen. „Dazu brauchen wir nicht irgendwelche Gesteinsproben, sondern Lava, deren Alter wir ermitteln können“, sagt er. Weil er aber von Bord aus nicht sehen kann, was das Sammelgerät – Dredge genannt – in der Tiefe gerade tut, ähnelt das Ganze einem Glücksspiel. Mal taucht ein Sack Lavasteine aus dem Wasser auf, von denen der Forscher alle untersuchen kann. Ein anderes Mal gibt es nur unbrauchbare Ablagerungen. Die zerlegen dann die Studenten mit Hammer und Spaltkeil in kleine Bruchstücke, um nachzuschauen, ob sich darin vielleicht ein Lavabrocken verbirgt.

Auch wenn der Neurobiologe Hans-Joachim Wagner eine Ladung Organismen aus den tieferen Etagen des Meeres holt, sortieren die Studenten eifrig mit. Die für seine Forschung wichtigen Tiere reserviert er für sich und seine Kollegen aus aller Welt. Mit dem großen Rest machen die Studenten eigene Experimente. Zumindest, wenn es ihr Zeitplan zulässt. Und der zeigt zu bestimmten Zeiten eben an, die Geräte für die Rückfahrt vorzubereiten, mit denen die Forscher ihre Proben aus dem Meer holen. Statt Tintenfische oder Flügelschnecken zu studieren, steht dann die Arbeit mit Schraubenschlüssel und Wasserpumpenzange auf dem Stundenplan. Genau wie bei den Forschern mit vielen Jahren Berufserfahrung wie Adrian Flynn, dem Chef des Consulting- und Forschungsunternehmens für Meeresökologie Fathom Pacific im australischen Melbourne: Er hat fast immer zwei Schraubenschlüssel griffbereit, mit denen er das Netz vorbereitet.

Begeistert sind alle an Bord, Klagen hört man nur ganz selten. Das liegt auch daran, dass die Studenten als vollwertige Wissenschaftler arbeiten. Sie sind im Forschungsalltag angekommen, auch wenn sie das Ergebnis ihrer Arbeit noch nicht kennen. Da geht es ihnen nicht anders als den Forschern: Auch sie bereiten auf dieser Fahrt ihre Proben meist nur vor. Erst an Land in ihren Labors folgt dann die Analyse. Aber auch wenn die Ergebnisse vielleicht erst Jahre später auf dem Papier stehen, sind die Erinnerungen an diese faszinierende Fahrt noch lange nicht verblasst.