Adler mag ein Hobbyfotograf gewesen sein, doch für Nádas bestehen keine Zweifel an der Qualität seiner Arbeiten. Was an den ausgestellten Fotos zuerst auffällt, ist die Abwesenheit von Menschen auf diesen Bildern. Es sind Landschaftsfotografien in Schwarz-Weiß, überwiegend Ende der Sechziger in den Schweizer Hochalpen aufgenommen: im Oberengadin, im Berner Oberland und in der Gegend um das Matterhorn. Nur auf einem Foto sieht man zwei sich beschnuppernde Kühe. Ansonsten nur Wolken, Nebel, Gletscher, Felsen, Geröll, Bäume, Sträucher, einen Wasserfall, einen See. Für Nádas sind die kunsthistorischen Vorbilder dieser Fotos leicht auszumachen, nämlich die Landschaftsmalerei der deutschen Romantik: von Philipp Otto Runge, Julius Schnorr von Carolsfeld und vor allem Caspar David Friedrich.

 

Der Schriftsteller hat sich informiert

Er habe zuvor nichts über H. G. Adler gewusst, gestand Nádas. Inzwischen hat er sich aber intensiv mit dessen Werk beschäftigt und glaubt in Adlers Fotos dasselbe Strukturprinzip zu erkennen wie in seiner Lyrik und Prosa. Charakteristisch dafür, so schreibt Nádas im Katalog zur Ausstellung, sei eine „Entpersönlichung“, ein „anästhesiertes Gefühlsleben“: „Er reduzierte sich selbst auf rhythmische Systeme und musikalische Strukturen . . . In seinen Werken finde ich kein Wort, das darauf hinweisen würde, was alles geschehen war.“ Es geht in diesen Fotos um den Kontrast von Licht und Schatten, Hell und Dunkel, organischer und anorganischer Natur. Ausgespart und doch in seiner Abwesenheit anwesend ist in diesen Fotos, „was alles geschehen war“: Adlers Erfahrungen in Theresienstadt und Auschwitz. Der Auschwitz-Überlebende Primo Levi verfuhr ähnlich, als er beim Schreiben seiner Autobiografie ein kaltes wissenschaftliches Strukturprinzip verwendet hat: das periodische System der Elemente.

Nádas spürt in Adlers Fotos eine „unerschütterlichen Einsamkeit“: „Wenn du einmal als Überlebender von Neuem die anthropologische Frage stellen musst, was ist der Mensch, wer ist er und wie ist er, musst du zum Denken Landschaften betrachten, nicht Menschen.“ Wer einige der Fotoarbeiten von Péter Nádas kennt, wird die metaphysische Qualität, die er Adlers Bildern attestiert, auch im Werk des Ungarn finden. „Es gibt eine geheimnisvolle Grenze, wo das Physikalische einer Fotografie aufhört und ihre Metaphysik beginnt“, hat er einmal behauptet. Eine seiner bekanntesten Arbeiten ist ein Zyklus, in dem Nádas einen Birnbaum im Hof seines Hauses in Gombosszeg ein Jahr lang jeden Tag fotografiert hat: eine Allegorie der Dauer in der Vergänglichkeit.