Kultur: Tim Schleider (schl)

Die Meisterschaft des Films und seines Hauptdarsteller besteht aber gerade darin, dass wir als Zuschauer zu diesem Zeitpunkt längst dessen persönliche Tragödie mit der Tragödie seiner Leidensgenossen verknüpft haben. Zuvor hat er ja zwei Stunden ruhig, konzentriert, strukturiert versucht, dem Grund seiner Probleme auf die Spur zu kommen. Sind es wirklich nur Zufälle? Will sich ein Jude an ihm rächen? Kämpft womöglich gar ein Widerstandskämpfer mit seiner gestohlenen Identität im Untergrund, will er von sich ablenken? Ständig legt der Film Fährten aus, ständig laufen alle Aktivitäten, sie zu verfolgen und zum Ziel zu kommen, doch nur ins Leere.

 

Doch aufgesetzte Dramatik ist dem Werk völlig fremd. Die Beklemmung des Zuschauers ergibt sich ganz aus dem ruhigen, nüchternen, scheinbar emotionslosen Erzählen der Ereignisse. Kleins Versuche, einen „Ariernachweis“ zu bekommen, scheitern an einer dokumentenlos verstorbenen Großmutter. Seine Stimmung kippt. Irgendwann wehrt er sich nicht mehr. Irgendwann nimmt er das an, was ja auch in Millionen anderer Fälle in diesen Jahren nur eine Zuschreibung war: Jude. Eine groteske Rassen-Zuschreibung, die zur sechs-Millionen-fachen Katastrophe wird. Der Abtransport startet, als Kleins Anwalt herbeigeeilt kommt. Das rettende Dokument ist in letzter Sekunde eingetroffen. Man könnte den Zug noch stoppen, Monsieur Klein müsste nur auf sich aufmerksam machen. Er tut es nicht.

Nein, wir müssen kein Freund der politischen Ansicht Alain Delons sein. Aber seine Darstellerkunst ist phänomenal. In der künstlerischen Arbeit mit Joseph Losey ist ihm etwas gelungen, was völlig zeitlos einfach Kunst ist. Deswegen ist sie natürlich niemals unangefochten. Nichts ist sicher für ewig, keine wichtige Erkenntnis ungefährdet. Was helfen kann, ist womöglich ein Wiedersehen – zum Beispiel mit „Monsieur Klein“. Ein nötiger Alptraum.