Ganz andere Filme aus Frankreich als das übliche Kinoprogramm bieten vom 4. bis zum 11. November wieder die Französischen Filmtage Tübingen-Stuttgart.

Tübingen/Stuttgart - Wie Zahlen täuschen können! Das Angebot französischer Filme im deutschen Kino ist in den letzten Jahren gewachsen. Herzliche Neugier scheint zu herrschen auf die Spiegelbilder, in denen sich unser Nachbar selbst hinterfragt, ermutigt, geißelt und gefällt.

 

Diese Illusion platzt, nimmt man das Angebot näher unter die Lupe. Das französische Filmschaffen auf deutschen Leinwänden ist ein Zerrbild seiner selbst. Seit „Ziemlich beste Freunde“ und „Monsieur Claude und seine Töchter“ hierzulande gut Kasse machten, probieren die Verleiher fast ausschließlich das Sentimentale, Gaudihafte, gutbürgerlich Verschmunzelte, allenfalls noch das gepflegt Schlüpfrige aus.

Den 32. Französischen Filmtagen Tübingen-Stuttgart fällt also die Aufgabe zu, vom 3. bis zum 11. November ein radikal anderes Bild des französischen Kinos und der französischen Gesellschaft zu liefern, sich mit der nun eingeschliffenen Erwartungshaltung aufs Puddingweiche anzulegen.

Toleranz und Intoleranz

Das beste Beispiel für Brisantes dürfte eine Veranstaltung sein, die am 10. November nicht wie die anderen Filmvorführungen im Kino Delphi, sondern im Institut Français Stuttgart stattfindet. Dort wird Philippe Faucons Spielfilm „La Désintégration - Der Anschlag“ gezeigt, der die Radikalisierung eines jungen Franzosen mit nordafrikanischen Wurzeln zeigt. Vor dem Film wird es an diesem unter dem Motto „Toleranz und Intoleranz“ stehenden Abend ab 19 Uhr einen Vortrag des Philosophen und Menschenrechtlers Sarhan Dhouib geben, nach dem Film eine Diskussion mit dem Stuttgarter Politikwissenschaftler Felix Heidenreich und dem Regisseur Philippe Faucon.

Dem 1958 im marokkanischen Oujda geborenen Faucon ist dieses Jahr die Retrospektive der Französischen Filmtage gewidmet. Unermüdlich arbeitet dieser Regisseur an der Erweiterung des kulturellen Selbstverständnisses, schildert Film um Film die Schicksale von Menschen mit Wurzeln in Nordafrika. Damit passt er ganz wunderbar ins Profil dieses Festivals, das meist auch die einzige Gelegenheit des Jahres bietet, in Stuttgart neue Filme aus dem frankophonen Afrika oder der afrikanischen Diaspora zu sehen.

Stuttgart bietet nur Ausschnitte

Die Faucon-Werkschau und der Afrika-Block zeigen aber auch den Stuttgarter Standortnachteil. Von beiden sind in Stuttgart im Delphi nur kleine Teile zu sehen, vom Afrika-Segment etwa am 8. November Michel K. Zongos Dokumentarfilm „La Sirène de Faso Fani“ über Teppichweberinnen in Burkina Faso, die antizyklisch zu den Entwicklungspläne des Internationalen Währungsfonds arbeiten, und Cheick Fantamady Camaras Spielfilm „Mörbayassa“ über eine junge Mutter, die der Nachtclubmafia in Dakar entkommen will.

Für Stuttgart hat Festivalchef Christopher Buchholz vor allem einen Querschnitt durch den „Horizonte“ genannten Programmteil ausgesucht: neue Filme mit hohem Unterhaltungswert. Tatsächlich genießt Stuttgarts Kinopublikum in der ganzen Filmbranche den Ruf, das Spreißlige und Kontroverse nicht sehr zu schätzen.

Besucher dringend gesucht

Eine der Galaveranstaltungen der Französischen Filmtage findet allerdings auch dieses Jahr wieder im Treffpunkt Rotebühlplatz statt. Am 6. November um 20 Uhr steigt dort das Cinéconcert, Friedrich Wilhelm Murnaus Stummfilm „Sonnenaufgang“ von 1927 wird live von den DJs und Elektronikmusikern des Duos RadioMentale, Jean-Yves Leloup und Eric Pajot, vertont.

Prima Sache, aber zeitlich gerade ungeschickt: das sagen gestresste Filmfreunde zu Festivalangeboten immer öfter. Die Stuttgarter Besucherzahlen der Französischen Filmtage ließen stets den Wunsch entstehen, im nächsten Jahr möge es ein wenig besser werden.

Mittlerweile ist die Stuttgarter Kulturverwaltung ein wenig ungeduldig geworden und hat das Überdenken der Förderung in Aussicht gestellt, sollte nicht ein zartes Wachstum sichtbar werden. Wem am französischen Film etwas liegt, der könnte dieses Jahr taktisch ungeschickter handeln als ein oder zwei Filme mehr als sonst anzuschauen und vielleicht auch ein paar Bekannte zu animieren.