Rund drei Jahrzehnte hat Fred Binder die Stuttgarter Schullandschaft mitgeprägt – zuletzt als Geschäftsführender Leiter aller Realschulen. Jetzt geht er in den Ruhestand – und zunächst einmal auf eine fünfwöchige Reise durch Südamerika.

Stuttgart - „Mit 66 Jahren fängt das Leben erst an“ – davon ist Fred Binder überzeugt. Am Freitag noch eine geordnete Übergabe, dann ist für den langjährigen Leiter der Robert-Koch-Schule in Vaihingen und Geschäftsführenden Leiter der Stuttgarter Realschulen das Kapitel Schule abgeschlossen. Dann geht’s gleich für fünf Wochen nach Südamerika. „Das ist der Cut – ich werd hier nicht mehr auftauchen“, sagt Fred Binder. Dabei habe er seinen Job als Pädagoge, aber auch als Schulleiter, gern gemacht. 1985 war er als Konrektor an die Vaihinger Realschule gekommen, dort wurde er 1992 Rektor, und seit 1997 vertritt er die Stuttgarter Realschulen als Geschäftsführender Leiter.

 

Das ist eine gefühlte Ewigkeit. Dabei hatte es sich Binder nach seinem Abi am Wirtemberg-Gymnasium erst gar nicht vorstellen können, Lehrer zu werden. Aber nach einer Banklehre und einem halben BWL-Studium schwenkte er doch um. „Das Hauptthema dort war Gewinnmaximierung – das lag mir nicht so“, sagt Binder. Statt dessen ging es ihm um maximalen Nutzen für die Schüler. Er habe es anders machen wollen als viele seiner eigenen Lehrer – besser. „Ich wollte nicht, dass Kinder Angst haben, gedemütigt werden.“ Dass ihm die pädagogische Arbeit liegen würde, merkte Binder, als er sich in Kinderfreizeiten und im Waldheim als Betreuer engagierte.

Wenn Familienstrukturen bröseln, ist die Schule am Zug

Auch als Lehrer für Deutsch und Geschichte und als Schulleiter gerieten ihm die Befindlichkeiten seiner Schützlinge nicht aus dem Blick. Es habe sich viel gesellschaftlich verändert in den vergangenen 15, 20 Jahren. „Es sind zunehmend Familienstrukturen nicht in Ordnung – die Kinder brauchen viel Unterstützung“, sagt Binder. Natürlich gab es auch Ärger. Dann verdonnerte er den Urheber nicht selten dazu, dem Hausmeister zu helfen. Binders Devise gegenüber dem Schüler war stets: „Wir versuchen dir zu helfen, aber für das, was du gemacht hast, musst du einstehen.“

Gerade weil die Welt für viele Schüler gar nicht heil ist, zählt Binder die Einführung der Schulsozialarbeit vor drei Jahren an allen Stuttgarter Realschulen zu den größten Errungenschaften. „Das wäre sonst nicht mehr zu bewältigen gewesen“, räumt er ein. „Wir sind ungeheuer entlastet, wir hatten rein zeitlich die Möglichkeit nicht, diese Kinder zu begleiten.“

Als erste Realschule Inklusionsschüler aufgenommen

Ebenfalls Unterstützungsbedarf, nämlich im emotional-sozialen Bereich, haben die zwölf Inklusionsschüler an der Robert-Koch-Schule. „Wir waren die erste Realschule in Stuttgart, die das überhaupt angeboten hat“, berichtet Binder. „Inklusion ist eine gute Sache“, davon ist er überzeugt. Und von den zwei Sonderschulpädagogen, die regelmäßig kommen, profitierten auch die Regelschüler. Dass an den Realschulen künftig die Kinder nach der sechsten Klasse aufgeteilt werden sollen in welche, die den Hauptschulabschluss anstreben und welche, die den mittleren Bildungsabschluss machen wollen, hält Binder für problematisch. So werde nach zwei Jahren die Klassengemeinschaft wieder auseinander gerissen. „Ich stell mir das schwierig vor“, sagt Binder. Er hat vor allem die Situation der Schüler vor Augen und das Ziel, ihnen die bestmöglichen Lernvoraussetzungen zu bieten. Individuelles Lernen sei ein wichtiger Schlüssel.

Erfolge beim Projekt „Jugend forscht“

Lernen erfolge aber auch, wenn man Schule als Lebensraum begreife. „Ich muss nicht überall ein Sofa hinstellen – es geht darum, jedem Jugendlichen einen Teil Verantwortung zu übertragen.“ Dazu biete das jährlich aufgeführte Musical beste Möglichkeiten. Dort gebe es nicht nur Aufgaben musikalischer Art, für die auch die acht Klassenorchester eine gute Voraussetzung bieten. Sondern auch Licht- und Tontechnik, Bühnenaufbau und Kostüme erforderten, dass sich Schüler verlässlich darum kümmern. Auf das musische Profil seiner Schule ist Binder besonders stolz – „weil das den Kindern so viel bringt“. Gemeinsam ein Instrument zu lernen, das fördere die Ausdauer, die Konzentration. Und bezahlbar sei das auch. „Es muss kein Kind aus finanziellen Gründen zurückstehen.“

Auch die Erfolge beim Projekt „Jugend forscht“ sind bei Binder auf der Haben-Seite notiert. Mit einer Legostein-Sortiermaschine seien die Schüler sogar im Fernsehen groß herausgekommen.

Größtes Ärgernis war Hängepartie um die Schulsanierung

Das größte Ärgernis? Da muss Binder nicht lange nachdenken. Das sei die lange Durststrecke gewesen, in denen Schulsanierungen kein Thema gewesen seien. „Das war eine echte Hängepartie, wo wir uns nicht wahrgenommen gefühlt haben. Es war ein Gefühl der Machtlosigkeit.“ Und dies, obgleich alle geschäftsführenden Schulleiter an einem Strang gezogen hätten. „Aber wenn Fenster faulen, kann man sie nicht mehr reparieren.“ Erst Susanne Eisenmann habe als Schulbürgermeisterin das Thema angepackt. Auch die CDU-Stadträtin Iris Ripsam habe sich für diese Dinge „wirklich interessiert“ und die Schulleiter eingeladen, berichtet Binder. „Das gibt Motivation.“

Gleiches müsste für die 75 Millionen Euro gelten, die die Stadt in die Neugestaltung des Vaihinger Campus stecken will. Darum wird sich nun Binders Nachfolgerin und bisherige Vize-Schulleiterin Nadia Bescherer-Zeidan kümmern. Was Binder vermissen wird, so ganz ohne Schule? „Die Kinder. Ich hab gern unterrichtet.“