Das geplante transatlantische Freihandelsabkommen wird vor allem in Europa kritisch diskutiert. Es gibt gute Argumente dagegen – aber auch gute dafür, wie der StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs und der Brüsselkorrespondent Christopher Ziedler finden.

Brüssel - Begleitet von zunehmendem Protest gehen die Verhandlungsführer der EU-Kommission und der USA in der kommenden Woche in die nun fünfte Verhandlungsrunde zum Freihandelsabkommen Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) – eine Woche vor den Europawahlen. Die richtig heißen Eisen wie Investitionsschutz oder Agrarzölle sollen dabei in Arlington gar nicht verhandelt werden. „Das ist jetzt nicht die Phase, in der die großen politischen Entscheidungen gefällt werden“, sagt ein EU-Vertreter.

 

Vielmehr gehe es nun um die rein technische Basisarbeit: Beide Seiten werden zu so vielen Themen wie möglich Textvorschläge vorlegen und versuchen dann, ihre Positionen anzunähern. „Das wird richtige Knochenarbeit“, sagt der EU-Vertreter. Um ihre Verhandlungsposition nicht zu schwächen, gibt die EU allerdings keine konkreten Ziele an die Öffentlichkeit. Allerdings hat die EU-Kommission gestern fünf Positionspapiere für die Bereiche Chemie, Kosmetik, Pharma und Textil veröffentlicht.

Attac will ein Zeichen gegen das Abkommen setzen

Die mangelnde Transparenz vor allem auf US-Seite ist – neben dem Investitionsschutz, der Klagemöglichkeiten für Konzerne etwa bei geschäftsschädigender Umweltgesetzgebung vorsieht – einer der Hauptkritikpunkte der Gegner. So hat das Aktionsbündnis Attac für heute eine Demonstration vor dem belgischen Außenministerium in Brüssel angekündigt, wo sich der europäische Arbeitgeberverband Business Europe zu einer Tagung trifft. Aus Sicht von Attac-Sprecher Roland Süß nimmt dieser Verband starken Einfluss auf die Verhandlungen der EU-Kommission. „Das TTIP nützt vor allem den großen Konzernen“, sagt er. Dagegen will Attac ein Zeichen setzen.

Die EU-Parlamentarier sind skeptisch, was die Verhandlungen angeht. Helmut Scholz (Linke) möchte das Abkommen komplett stoppen. Daniel Caspary (CDU), der ebenso wie Scholz im Handelsausschuss des EU-Parlaments sitzt, wünscht sich „dass die Amerikaner jetzt erst einmal ein ordentliches Angebot im Bereich Zölle machen.“ Hier sei, ebenso wie beim Thema Marktzugang, noch gar nichts passiert. Die Amerikaner waren bisher nur bereit, bei 80 Prozent der Handelsgüter Zölle abzuschaffen, die EU hat hingegen bis zu 97 Prozent offeriert. Auch bei den Themen Textilien oder Finanzdienstleistungen „geht nichts voran“, sagt Caspary und resümiert: „Mein Eindruck ist, dass die Amerikaner derzeit nur beschränkt verhandlungsfähig sind.“

Die Erwartungen der EU-Parlamentarier sind gedämpft

Sein Kollege Bernd Lange von der SPD geht noch einen Schritt weiter. Er verspricht sich „gar nichts“ von der nächsten Woche. Die EU-Kommission befinde sich durch die anstehenden Europawahlen im Übergang, und auch der US-Kongress wird im November zum Teil neu gewählt. „Ich finde, man sollte die Verhandlungen sein lassen und bis November warten.“

Pro: Schub für die Wirtschaft

Gerade das Exportland Deutschland würde von einem Abkommen mit den USA profitieren. Deshalb dürfen die Vorteile nicht zerredet werden, meint StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs.

Es gehört zum Wesen politischer Debatten in Deutschland, dass vielfach eher die Risiken von Veränderungen und weniger die Chancen gesehen werden. Da stellt das geplante nordatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) keine Ausnahme dar. Statt über die Vorteile erleichterter Ausfuhren in die USA werden im Exportland Deutschland die Gefahren von Chlorhähnchen und Genmais beschworen. Statt über günstigere Preise für viele Waren wird über Geheimdiplomatie und eine Enteignung des Staates debattiert.

Europa und die USA vereinen etwa die Hälfte des weltweiten Sozialprodukts auf sich. Doch der Handel wird beeinträchtigt: durch Zulassungsverfahren, die auf dem anderen Kontinent wiederholt werden müssen, obwohl die Sicherheit eines Produktes nachgewiesen wurde; durch nationale Besonderheiten, die letztlich nur zum Schutz der heimischen Anbieter dienen, für die Verbraucher aber kostspielig sind. Ein Autospiegel etwa muss auf beiden Seiten des Atlantiks unterschiedlich gekrümmt sein. Die Folge sind Mehraufwand bei Design, Zulassung und Herstellung – und entsprechend höhere Preise.

Es ist belegt, dass durch eine Senkung der Zölle, eine Angleichung von Normen und den Verzicht auf doppelte Regulierung die Wirtschaft angekurbelt wird. Schätzungen der EU-Kommission und seriöser Forschungsinstitute gehen von rund zwei Millionen neuen Jobs in EU und den USA aus, von um fast ein Drittel höheren Exporten in die USA und einem Sozialprodukt, das etwa 200 Milliarden Euro jährlich höher liegen würde als ohne TTIP. Man muss diese Zahlen nicht zu genau nehmen. Es ist jedoch eindeutig, dass die Wirtschaft profitiert – gut für Deutschland, gut auch für andere Staaten, die dringend Wachstum benötigen.

TTIP führt nicht zur Aushöhlung der Staatsmacht

Angesichts der wachsenden Wirtschaftsmacht der Schwellenländer ist es heute globalpolitisch womöglich die letzte Möglichkeit, dass Europa und die USA mit dem Abkommen internationale Standards setzen, an denen andere nur schwer vorbeikommen. Sicherlich wäre ein multilaterales Abkommen im Rahmen der Welthandelsorganisation besser. Doch zum einen werden solche Vereinbarungen von den Freihandelsgegnern ebenso abgelehnt wie TTIP. Zum anderen sind die Verhandlungen im Rahmen der WTO noch einmal ungleich komplizierter und ein Abschluss noch unwahrscheinlicher. Da scheint es noch günstiger zu sein, ein nordatlantisches Bündnis zu einem späteren Zeitpunkt für alle zu öffnen.

Die Mythen, die TTIP-Gegner verbreiten, sind zum Teil schnell zu entkräften. Ja, es gibt Missbrauch bei Investitionsschutzabkommen. Doch nein, das führt nicht zur Aushöhlung der Staatsmacht – sonst hätten EU-Staaten nicht bilateral 1400 solcher Abkommen unterzeichnet. Auch der Vorwurf, die Verhandlungen liefen in Hinterzimmern ab, geht an der Sache vorbei. Auch aus Koalitionsverhandlungen wird nicht jede Wendung getwittert. Auch zu TTIP werden Parlamentsanfragen beantwortet und Nichtregierungsorganisationen konsultiert. Zudem müssen am Ende der US-Kongress sowie wohl alle 28 EU-Parlamente dem dann öffentlichen Abkommen zustimmen – eine extrem hohe Hürde. Bis dahin sollte man den Unterhändlern die Gelegenheit geben, ein gutes Abkommen auszuhandeln – und nicht schon jetzt alles stoppen.

Kontra: Todesstoß für die WTO

Chlorhühner lassen sich verhindern. Doch ein multilaterales Welthandelssystem ist besser als eine Wirtschafts-Nato, meint StZ-Korrespondent Christopher Ziedler.

Für Verschwörungstheoretiker sind die Freihandelsgespräche zwischen EU und USA, die am kommenden Montag in Arlington fortgeführt werden, ein Fest. Zwar weiß man viel mehr über die transatlantischen Bemühungen als über die parallel laufenden Verhandlungen etwa mit Indien oder Japan, aber eben bei Weitem nicht alles. Die wildesten Spekulationen schießen ins Kraut, weil das, was man weiß, schon genug Anlass zur Sorge gibt.

Fakt ist, dass es neben dem Zollabbau vor allem um die Angleichung von Standards und Vorschriften geht – die sogenannten nicht-tarifären Handelshemmnisse. Was aber für die Autoindustrie oder den Maschinenbau eine willkommene und geldsparende Entbürokratisierung mit sich bringt, könnte bei der Lebensmittelsicherheit dagegen Qualitätsverluste nach sich ziehen. Reicht eine Zulassung in den USA künftig aus, um Waren auch in der EU anzubieten, könnten mit Chlor behandelte Hühnchen in den Kühltheken und nicht gekennzeichnetes Gen-Food in den Supermarktregalen landen. Inakzeptabel ist auch die Idee, nicht öffentlich tagende Schiedsgerichte einzurichten, vor denen Investoren Staaten auf Schadenersatz verklagen können, wenn neue Umwelt- oder Arbeitsschutzgesetze deren Profit schmälern. Was bei Geschäften mit Willkürstaaten verständlich ist, verbietet sich in Abkommen zwischen funktionierenden Demokratien. Wir haben ordentliche Gerichte.

Viel spricht dafür, dass diese strittigen Punkte den politischen Prozess nicht überleben werden; die Kritik von Verbraucherschützern und anderen Organisationen hat längst die Bundesregierung und das Europaparlament erreicht, die beide am Ende Ja sagen müssen. Macht das die Sache besser? Für die EU-Bürger schon – und das ist nicht wenig. Aber selbst ein um die ärgsten Kritikpunkte bereinigtes Freihandelsabkommen ist nicht das, was man sich im Sinne eines faireren Welthandelssystems wünscht.

Wünsche der Exportindustrie auch multilateral erfüllbar

Eine transatlantische Freihandelszone, womöglich noch mit der von den USA geforderten Beitrittsoption für andere Staaten, würde den Todesstoß für die bereits darniederliegende Welthandelsorganisation WTO bedeuten. Ihr Hauptquartier in Genf ist der Ort, der geschaffen wurde, um einen globalen Interessenausgleich zu organisieren, dort gibt es auch ein von allen Seiten akzeptiertes Schiedsgericht für Streitfälle, dort haben auch Entwicklungsländer eine Stimme. Wenn sich der größte Handelsblock der Welt, die Europäische Union, mit dem zweitgrößten, den USA, zusammentut, könnte die WTO zur Bedeutungslosigkeit verurteilt und zu Grabe getragen werden.

Dabei ließen sich die Wünsche der Exportindustrie wie das geostrategische Ziel, das die EU und die USA mit dem abgekürzt TTIP genannten Abkommen verfolgen, auch auf multilateralem Wege erreichen: Die Logik hinter der größten Freihandelszone der Welt nämlich ist, dass auch China die dort geltenden Standards schlucken müsste und der Unterbietungswettbewerb aus Fernost zumindest eingedämmt wird. Zugegeben, das WTO-Mitglied China hat sich bei den entsprechenden Gesprächen nicht eben kooperativ gezeigt. Doch ist der Versuch, weltweit gültige Regeln in einem weltweiten Forum zu schaffen, dem Recht des Stärkeren allemal vorzuziehen.