Mal ironisch, mal scherzend und immer fantasiereich - Al Jarreau ist eine Klasse für sich. Das hat er auch in Stuttgart bewiesen.

Stuttgart - „Ich verspäte mich niemals und bin immer pünktlich. Ich mag das selbst nicht“, entschuldigt sich Al Jarreau für die rund halbstündige Verspätung auf der Freilichtbühne Killesberg. „Aber“, so setzt er verschmitzt hinzu, „manchmal entwickeln sich die Dinge touristisch." Dem Manne sitzt der Schalk im Nacken, was er inzwischen zu einer Art roten Faden seiner Show macht: dieses ständige lachende Kommentieren seiner selbst und des Laufes der Dinge um ihn herum. „Ich sehe dünn aus, bin aber richtig fett“, sagt der Sänger und Stimmartist lachend einmal und bläst die Backen auf. Dass der Gürtel mit der etwas zu großen Schnalle spannt, sehen alle 1000 vor der Freilichtbühne. „Das ist so, weil ich Strudel mag, am besten mit Vanillesauce. Manche Leute mögen vielleicht Erdbeerkuchen. Ich mag alle Sorten von Kuchen“. Spricht's, lässt seine Stimme ein bisschen kreisen, um schließlich auf den Titel „Sweet Potatoe Pie“ einzubiegen.

 

Jarreau hat sich in seiner Karriere kaum verspätet. Rechtzeitig war er zur Stelle, damals, Mitte der siebziger Jahre, als die Fusion von Jazz und Rock einen Boom erlebte. Er kam damals eher von der Seite des Jazz, der der Leichtfüßigkeit seiner Stimme und ihrer Wandlungsfähigkeit eher förderlich war als die geradlienigen Rockrhythmen, die ihn und seine Fantasie in ein festes Metrum sperren wollten. Seine Interpretation Dave Brubecks von Paul Desmond komponierten Titels „Take Five“ machte ihn schließlich bekannt und berühmt. Jeder musste nun das Stimmwunder kennen. Doch nach und nach näherte er sich einem von Studiomusikern aus Los Angeles geprägten, sehr sauberen Stil an: Jazzrock, als höchst gepflegte Musik für Erwachsene.

Aus jedem Song macht er ein kleines Drama

Heute hat er das alles hinter sich und ist als 71-Jähriger längst in seine eigene Klassik eingetreten. Seine CD-Produktionen sind wieder jazziger geworden, reihen sich aber ein in einen musikalischen Fluss der ehemaligen Fusionhelden, die stilistisch fast alle eine ähnliche Entwicklung genommen haben. Er ist Al Jarreau, die Marke, als Sänger eine Referenz. Aktuell hat ihm der Saxofonist und Keyboarder Joe Turano die Arrangements für seine Liveauftritte auf den Leib geschrieben: mit mehr unterstützenden Hintergrundchören als früher und mit einem „richtigen“ Bandgefühl.

Zu den prominenten Begleitern und ganz großen Namen zählt diesmal eigentlich nur der Keyboarder und Flötist Larry Williams. Ansonsten fühlt sich Jarreau im Kreise seiner Band der eher unbekannten Namen oder seiner „Familie“, wie er oft sagt, sichtlich wohl. Das breite Arsenal seiner stimmlichen Möglichkeiten, dieses Gurren, Schnalzen, Flüstern, Lachen und Seufzen etwa, führt er nicht mehr so offensiv wie früher vor. Dafür aber macht er aus jedem Song ein kleines Drama, in das er mit tausend Andeutungen und Grimassen, mit plötzlichen Einfällen, Scherzen und Kaspereien einführt, um unmerklich in den Song zu gleiten, ihn scheinbar völlig frei stimmlich zu gestalten, ihm wie etwa bei „Look to the Rainbow“ eine Bedeutung zu geben, die manchmal sogar ins Übersinnliche hinausweist. Musik scheint ihm eine Art natürliches Ausdrucksmittel geworden zu sein, die Songs eine Art Anlass für musikalische Fantasien. So geht' s über jazzige Versionen von Titeln wie „You don't see me“ oder „We got by“ bis hin zum Titel „Random Act of Love“, zu dem sein Bassist Chris Walker nach vorne treten und inbrünstigen Schmalz singen darf: virtuos, mit allen Wassern gewaschen, glänzend poliert. Im Vergleich zum bescheidenen Jarreau („er singt ja viel besser als ich“) ist Walker ein kleines Licht. Ein Techniker. Ein Könner. Einer von vielen.

Wie sich der Sänger des Abends aber mit Ironie souverän das Passende aus dem weiten Spektrum seiner Ausdrucksmittel greifend und doch vor lauter Gefühl beinahe berstend durch sein Repertoire singt, das hat eine eigene Klasse - die Klasse des Al Jarreau.