Wirte dehnen ihre Lokale widerrechtlich im Freien aus. Das Risiko, erwischt zu werden, ist gering. Für Kontrollen fehlt schlicht das Personal.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

S-Mitte – Für eine Bündnisgrüne ist die Wortwahl ungewohnt militärisch: „Wir befinden uns im Nahkampf auf offener Straße.“ So drückt es Veronika Kienzle aus, die Bezirksvorsteherin für die Stadtmitte. Gemeint ist der Kampf gegen Gastronomen, die ihre Geschäfte in den Sommermonaten auf Gehwege ausdehnen.

 

Dafür ist ein Antrag nötig und vor dessen Genehmigung ein Ja des Bezirksbeirats – jedenfalls theoretisch. Denn gelegentlich kämpfen die Lokalpolitiker nicht gegen expansionsfreudige Wirte, sondern gegen den Ordnungsbürgermeister Martin Schairer. Der hatte jüngst einem Wirt an der Hauptstätter Straße erlaubt, Tische vor seinem Lokal aufzustellen, obwohl der Bezirksbeirat strikt dagegen war.

Erlaubt oder verboten sind dehnbare Begriffe

Erlaubt oder verboten sind ohnehin dehnbare Begriffe in einer Branche, in der Geschäftsinhaber in einem sonnigen Sommer ihre Betriebe ebenso gut schließen können, wenn sie keine Plätze im Freien anbieten. Über zehn Anträge von Gastronomen hatte der Bezirksbeirat in seiner jüngsten Sitzung zu entscheiden. Nebenbei zählten die Lokalpolitiker Beispiele für Verstöße gegen so ziemlich jede Vorschrift zum Thema auf.

Ein Gastronom hat seine Freiluftplätze ordnungsgemäß beantragt, wollte aber nicht auf die Genehmigung warten. Die Tische stehen bereits. Ungeachtet dessen ist er im Vergleich geradezu Vorbild. Einen Wirt im Heusteigviertel hat Kienzle eben erst mahnen lassen, dass er sich widerrechtlich auf dem Gehweg ausbreitet – mal wieder. Ein Café hat sein Plätzchen im Freien ungefragt mit einem Dutzend Pflanztröge verschönert. Der Wirt einer Kneipe an der Torstraße möchte seine Gäste mit der Bequemlichkeit ausladender Polstermöbel locken. Fußgängern bleibt deshalb nur noch eine Gasse von einem Meter Breite. Mindestens anderthalb Meter müssten es sein; wo viele Fußgänger unterwegs sind, bis zu zweieinhalb. Eine Gastrokette will sogar einen Platz bewirtschaften, der Zufahrt zu zwei Tiefgaragen ist. „Mindestens 100 Sitzplätze mehr als auf dem Plan“ macht Veronika Kienzle allein auf dem Schlossplatz aus.

Amtlich ist der Wildwuchs ausgeschlossen

Dabei ist derlei Wildwuchs in der schwäbischen Hauptstadt ordnungsgemäß ausgeschlossen. Der Gemeinderat hat klare Regeln für zulässige und unzulässige Ausdehnung der Straßenwirtschaften erlassen. Die sind in einer sogenannten Sondernutzungsrichtlinie nachzulesen, zusätzlich in einem Merkblatt. In Letzterem ist sogar niedergeschrieben, welche Art von Mobiliar auf öffentlicher Fläche unerwünscht ist. Wer in Fußgängerzonen oder auf Gehwegen bewirten will, ist grundsätzlich auf die Zustimmung mehrerer Ämter, der Polizei und der Feuerwehr angewiesen.

All dies hilft wenig gegen „eine starke Zunahme von Straßenwirtschaften im Stadtgebiet“. Die wird im ersten Satz des amtlichen Schriftsatzes zum Thema festgestellt. Der Zunahme auf der einen Seite der Straßenwirtschaftsfront steht aber keine auf der anderen gegenüber: beim Ordnungsamt. Kontrollen sind aufwendig, weil sie mit dem Zollstock erledigt werden müssen, denn das Maß für die Nutzung sind nicht Tische, sondern Quadratmeter. Das Risiko, bei Verstößen ertappt zu werden, ist gering, denn um regelmäßig zu prüfen, fehlt das Personal. „Machen wir uns nichts vor“, sagt Benno Bartosch vom Ordnungsamt, „wenn die Kontrollen fehlen, wird in jeder Branche in das Vakuum hineingewirtschaftet.“

An dieser Stelle Geld zu sparen, scheint schon aus finanziellen Gründen fragwürdig, denn die Stadt kassiert von den Wirten monatlich Nutzungsgebühren. Die bemessen sich nach der Lage und den Öffnungszeiten. Kurz: Danach, wie viel an welchem Standort mutmaßlich mit dem Ausschank zu verdienen ist. Dass wegen des Mangels an Kontrolleuren womöglich mehr Geld verloren ist als Gehalt gespart, argwöhnt offenbar auch der Gemeinderat. Der hat vor fünf Monaten eine neue Personalstelle für diesen Zweck genehmigt. Besetzt ist sie aber noch nicht. Wegen eines Problems im Amt, das mit dem der Wirte durchaus verwandt ist: Es fehlt der Platz, um einen Tisch mit Stuhl aufzustellen.