An den EU-Außengrenzen engagieren sich neben den nichtstaatlichen Hilfsorganisationen Freiwillige aus ganz Europa. Auch vier junge Männer aus Stuttgart-Vaihingen fuhren Mitte Oktober nach Serbien, um zu helfen.

Vaihingen - Gitter trennen die wartenden Flüchtlinge voneinander, teilen sie in kleinere Gruppen auf. Sie müssen in einer langen Schlange anstehen, um sich registrieren zu lassen. Die Absperrungen dienen der Sicherheit. Grüppchenweise werden sie nach und nach weitergelassen, manch einer wartet seit zwölf Stunden oder mehr. Es ist kalt, nass. Plötzlich geht es weiter, die Menschen drängen vorwärts. Zwei Kinder schlüpfen durch die Öffnung, dann soll wieder Schluss sein. Der Vater ist aber noch auf der anderen Seite. Panik in den Augen der Kinder, sie schreien und weinen, strecken die Arme nach ihm aus. „Das war eines der schlimmsten Dinge, die ich in der Woche gesehen habe“, sagt Sebastian Seibold. Er und drei andere sind Mitte Oktober nach Serbien gefahren, um dort in einem Flüchtlingscamp zu helfen.

 

Ein Auto samt Anhänger vollgepackt mit Hilfsgütern sowie 4500 Euro Spendengelder – damit machen sich Jonas Ott, Marlon Weinert, Bastian Faust und Sebastian Seibold auf den Weg. Ott, Weinert und Seibold sind Vaihinger Studenten, Faust lernen sie über Facebook kennen, als sie dort ihre Hilfsaktion bekannt machen. Am 12. Oktober geht es los, ihre erste Station ist Opatovac in Kroatien. Dort befindet sich ein Transit-Flüchtlingscamp mit rund 5000 Menschen. „Es war relativ ruhig. Das Kroatische Rote Kreuz und andere Hilfsorganisationen sind vor Ort. Wir konnten nicht viel helfen“, sagt Ott. Die vier jungen Männer packen zusammen und fahren weiter: nach Preševo in Serbien.

Eine Notlüge bereitet den Weg

„Wir waren in Kontakt mit anderen Freiwilligen und haben gehört, dass dort die Not besonders groß sein soll. Es hatte viel geregnet in den Tagen davor“, berichtet er. Dorthin zu kommen gestaltet sich allerdings schwieriger als vermutet. Das Problem ist der Grenzübergang. „Viele Helfer wurden zurückgewiesen“, sagt Seibold. Also erzählen sie dem Beamten eine Lügengeschichte von einem Campingurlaub. Der ist misstrauisch. Ein Blick in den Anhänger und es ist klar: Das ist nicht das Reisegepäck von jungen Männern. Denn da sind Babysachen, unzählige Socken, Zelte, Decken. „Ihr lügt mich an.“ Erwischt. „Marlon hat zugegeben, dass es eine Lüge ist, aber aus humanitären Gründen“, erzählt Ott. Ihr Glück: der Zöllner kann Deutsch, er hat 20 Jahre in Deutschland gelebt. Er lässt sich erweichen und den Hilfstransport passieren.

Inzwischen ist es mitten in der Nacht, das Gespann ist auf der Autobahn südlich von Belgrad unterwegs in Richtung Grenze, als am Anhänger ein Reifen platzt. Ein Anruf beim ADAC, dann ist Warten angesagt. Irgendwann morgens kommen sie in Preševo an. Dort ist eine Registrierungsstelle; Flüchtlinge müssen sich Papiere ausstellen lassen, bevor sie durch Serbien reisen dürfen. In der Warteschlange gibt es keine Toiletten, keine Sitzgelegenheiten, keine Essensversorgung seitens der Regierung. Neben den nichtstaatlichen Hilfsorganisationen kümmern sich Freiwillige, die aus ganz Europa anreisen und sich selbst organisieren – koordiniert über die Intereuropean Human Aid Organisation (IHA). Dies geschieht an vielen Orten an der EU-Außengrenze.

Kekse, Tee und Decken für die Wartenden

Tagelang laufen Ott, Seibold, Weinert und Faust in Preševo die Warteschlange auf und ab. Sie verteilen Lebensmittel, Tee und Decken an die Wartenden, reden, trösten. Vieles haben sie direkt vor Ort mit den mitgebrachten Spendengeldern gekauft, wie etwa Bettdecken für ein spontan eingerichtetes „Krankenhaus“, wo sich Frauen mit Kindern in einem Raum mit Betten zurückziehen können.

„Die Polizei war überfordert mit den Menschenmassen“, erzählt Seibold. Als es einmal plötzlich zu Gedränge kommt und beinahe eine Panik ausbricht, reagiert der 23-Jährige intuitiv. Er spricht einige arabische Wörter nach, die offenbar „nicht drängeln“ bedeuten, ruft sie ganz laut über die Menge hinweg. Es wirkt, die Menschen lachen, die Anspannung löst sich.

Die jungen Männer führen viele Gespräche mit den Flüchtlingen, hören sich deren Geschichten an. Nicht wenige sind einen Monat oder länger unterwegs gewesen. Auf die Idee mit der Hilfsaktion kamen Ott und Weinert, als sie einen Vortag hörten, sowie durch die Freundin eines Freundes. „Ich war bis vor Kurzem in den USA. Dort habe ich von der Flüchtlingskrise mitbekommen und mich geschämt, dass die negativen Stimmen so laut sind“, sagt Seibold. Ihm sei sofort klar gewesen, dass er mitfahren werde. „Die Freiwilligen sind eine direkte, schnell einsetzbare Hilfe ohne viel Bürokratie“, sagt Ott.

Auch bei der beinahe getrennten Familie greift der Einsatz der jungen Männer: Seibold redet beruhigend auf den Polizeibeamten ein, der den Vater nicht zu seinen Kindern lassen will und erreicht einen Kompromiss. Der Mann darf zwar nicht weiter nach vorn, aber die Kinder dürfen zurück. „Europa hat die Krise mitzuverantworten durch politische Verfehlungen und Waffenlieferungen“, sagt Ott. Nun müsse man auch mithelfen, die Krise zu lösen oder zumindest die Not zu lindern.