Rassismus ist in Polen und vor allem in der Ukraine weit verbreitet. Ob die Fußball-Europameisterschaft daran etwas ändert, ist mehr als fraglich.

Kiew - Johnson Anikia ist bisher gut durchgekommen, einigen seiner Freunde erging es schlechter. „Vermutlich hatte ich einfach nur Glück“, sagt der Nigerianer, der in Kiew einen Verein mit 200 afrikanischen Einwanderern aus 25 Ländern leitet. Seit 30 Jahren lebt Anikia in der Ukraine, er sagt, der Rassismus habe im Lauf der Zeit massiv zugenommen. Einer seiner früheren Mitschüler wurde in Kiew auf dem Weg zur U-Bahn ermordet, ein Freund aus Sierra Leone wurde in seinem Kiosk zu Tode geprügelt.

 

Johnson Anikia hört oft von Angriffen und Drohungen gegen Migranten. Vor allem im Fußball. Hartnäckig haben Politiker, Medien und Funktionäre über Menschenrechtsverletzungen der ukrainischen Regierung diskutiert. Was kaum im Fokus gestanden hat: der Rassismus in der ukrainischen Gesellschaft.

Laut einer Studie von Mridula Ghosh, Wissenschaftlerin des Osteuropäischen Instituts für Entwicklung in Kiew, glauben 59 Prozent der Einwanderer in der Ukraine, sie hätten weniger Rechte als Angehörige der Mehrheitsgesellschaft. 85 Prozent der Migranten haben selbst Diskriminierung erlebt, auch von Polizei, Behörden oder Justiz. „Die Gesellschaft ist wegen der Finanzkrise tief gespalten“, sagt Ghosh, die aus Indien stammt. Die Arbeitslosigkeit wachse, die Bevölkerung werde kleiner und älter. „Das Land ist auf der Suche nach Identität: In dieser Stimmung ist es für Populisten sehr leicht, die Schuld auf Ausländer zu schieben.“ Mridula Ghosh hat ihre Ergebnisse auf einer Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung vorgestellt, die seit 1993 ein Büro in Kiew unterhält.

Zwölf rassistisch motivierte Morde seit 2006

Ghosh verweist auf religiöse, ethnische und politische Konflikte, die ein Klima der Toleranz kaum möglich machen. In den vergangenen sechs Jahren haben Nichtregierungsorganisationen zwölf rassistisch motivierte Morde und 300 Übergriffe auf Migranten dokumentiert. Vermutlich seien diese Zahlen weit höher, doch die Opfer erstatten selten Anzeige, sagt Wjascheslaw Lihaschew, Wissenschaftler aus dem Kongress der ethnischen Gruppen in Kiew: „Bei den Wahlen im kommenden Herbst wird vermutlich zum ersten Mal in der unabhängigen Ukraine eine rechtsextreme Partei ins Parlament einziehen. Doch viel gefährlicher ist der Rassismus in der Mitte der Gesellschaft. Fremdenhass wird von Medien geschürt und zieht so immer mehr in den politischen Mainstream ein.“

Wjascheslaw Lihaschew spricht von der Allukrainischen Vereinigung Swoboda. 30 Ultranationalisten hatten die Partei 1991 gegründet, inzwischen hat sie 15 000 Mitglieder. Die NPD zählt knapp 6000 Angehörige in Deutschland, dessen Einwohnerzahl fast doppelt so hoch ist wie die der Ukraine. Swoboda hetzt gegen Juden, Roma, Homosexuelle. 2010 entrollten Mitglieder Transparente in Stadien, darauf stand geschrieben: „Der ukrainische Fußball ist kein Asyl für Ausländer.“

Ukrainische Rechtsextreme buhlen um Fußballfans

Vor der Europameisterschaft demonstrierten 5000 Fans in Kiew gegen ausländische Spieler, nur slawische Mitbürger seien willkommen. Parteimitglieder buhlen um das Fußballmilieu, um Hooligans. Sie wollen Jugendkulturen auf ihre Seite bringen, das gesellschaftliche Klima zu ihren Gunsten verändern. Swoboda hat bei jungen Männern Zulauf, die sich von der orangenfarbenen Revolution verraten fühlen. „In der Gruppe fühlen sie sich mächtiger“, sagt Maxim Butkevich von der Initiative Ohne Grenzen. „Sie sind stolz auf ihren Nationalismus: ob in den Stadien oder auf den Straßen.“

In den ukrainischen Stadien sind im Ligabetrieb der Hitlergruß und das Hakenkreuz regelmäßig zu sehen, Urwaldgeräusche gegen schwarze Spieler regelmäßig zu hören. Die Fangruppen nennen sich „Terror-Familie“, „Werwolf“ oder „Avantgarde Fight Club“. Anhänger verteilen in den Kurven die gleichen Pamphlete wie auf Kundgebungen von Swoboda. Immer wieder werden ausländische Zuschauer angegriffen. Polizei und Ordner schauen meist tatenlos zu.

Dunkelhäutige und Schwule werden attackiert

Vor Kurzem wurden zwei ehrenamtliche Helfer aus Nigeria attackiert, sie hatten in Donezk Englischunterricht gegeben. Am 20. Mai verhinderten auch Hooligans die erste Schwulenparade in Kiew. Der ehemalige englische Nationalspieler Sol Campbell riet in einer Fernsehdokumentation der BBC von einer Reise zur Europameisterschaft ab.

Rafal Pankowski von der Warschauer Aktivistengruppe Never Again will nicht in den pessimistischen Chor einstimmen: „Bei jedem Spiel der Europameisterschaft sind zwei unabhängige Beobachter dabei, sie werden rassistische Vorfälle sofort melden.“ Pankowski und seine Kollegen haben Tausende Ordner geschult. Abseits der Stadien verteilen sie Broschüren und organisieren Straßenturniere. „Uns ist wichtig, den Gästen ein freundliches Umfeld zu bieten. Wir möchten mit der Hilfe des Fußballs zeigen, dass die Vielfalt von Menschen etwas Wunderbares ist.“ Dennoch konnte nicht verhindert werden, dass dunkelhäutige EM-Teilnehmer in Polen bei Spielen und im Training verhöhnt wurden.