Die Fusionsforschung beschäft die Wissenschaft seit Jahrzehnten. In Südfrankreich ist dafür ein erstes Gebäude auf dem Iter-Komplex entstanden.

Stuttgart - Das erste Gebäude ist so gut wie fertig. Nach 18 Monaten Bauzeit stehen die Betonsäulen, das Dach ist gedeckt und die Stahlwände sind angemalt, mit einem roten Streifen in luftigen Höhen. Stünde die zwei Fußballfelder lange Halle woanders, könnte man sie für ein Flugzeughangar halten. Doch im südfranzösischen Forschungszentrum Cadarache ist ihr Zweck ein anderer: in ihr sollen haushohe Magnetspulen hergestellt werden. Sie dienen dem aufwendigsten Laborexperiment der Menschheitsgeschichte, das von 2019 an nur einen Steinwurf entfernt beginnen wird. Der Internationale Thermonukleare Experimental Reaktor (kurz: Iter) soll klären, ob man das Prinzip, nach dem die Sonne Energie erzeugt, auf der Erde zur Stromerzeugung nutzen kann.

 

Für Wissenschaftler ist die Kernfusion die elegantere Schwester der aus Atomkraftwerken bekannten nuklearen Kernspaltung. Anders als bei Letzterer, bei der schwere Atomkerne wie der des Urans zertrümmert werden, verschmelzen bei der Kernfusion zwei Wasserstoffkerne miteinander und bilden das Edelgas Helium (siehe Infokasten). Einem Gramm des Fusionsbrennstoffs würde die gleiche Energiemenge entspringen wie elf Tonnen Kohle - ohne dass klimaschädliche Gase freigesetzt werden, und ohne dass die Gefahr eines GAUs besteht. Auch wäre die Strahlung des Atommülls solch eines Reaktors bereits nach etwa hundert Jahren abgeklungen.

Aber die Kernfusion ist technisch enorm schwer zu erreichen: die Reaktion findet nur statt, wenn man ein Wasserstoffgas eng zusammendrücken und dabei auf Temperaturen von mehr als hundert Millionen Grad erhitzen kann. Zu diesem Zweck werden geschickt orientierte Magnetfelder eingesetzt, die Teilchen immer dann ablenken, wenn sie der Wand des Reaktors zu nahe kommen. Für diese Magnetfelder werden die riesigen Spulen benötigt, die in den kommenden Jahren vor Ort hergestellt werden sollen. Zusammen mit anderen Bauteilen werden sie den Reaktor, der im Herzen der 180 Hektar großen Anlage in Südfrankreich stehen wird, dreimal so schwer machen wie den Eiffelturm.

Ein großer Fortschritt in 60 Jahren

Dass es eines solchen Kolosses bedarf, um der Kernfusion Herr zu werden, hätten sich Fusionsforscher vor 60 Jahren nicht träumen lassen. Damals sollten tischgroße Apparaturen Wasserstoffkerne miteinander verschmelzen lassen. Aber keines der Experimente konnte das darin eingesperrte Gas auch nur ansatzweise so stark erhitzen wie nötig. Schon nach Sekundenbruchteilen brach es aus den Magnetfeldkäfigen aus - wie Pudding, den man mit Gummibändern festzurren will.

Schuld waren die bis dahin unbekannten Eigenarten extrem heißer Gase. Dieses sogenannte Plasma neigt dazu, kleine Wirbel zu bilden, die letztlich den Käfig zu sprengen drohen. Erst 1968 fanden russische Wissenschaftler eine bestimmte Form des Magnetkäfigs, der ein heißes Plasma einige Tausendstelsekunden in Schach halten konnte: den Tokamak. Doch auch damit gelang es bei Weitem nicht, so viel Kernfusionsenergie zu erzeugen, wie zum Aufheizen des Plasmas benötigt wird. Dieser Breakeven-Punkt gilt heute noch als erklärtes Ziel der Fusionsforschung. Am nächsten daran kam noch der Joint European Torus im britischen Culham: 1997 setzte sein Plasma zwei Sekunden lang 16 Megawatt frei, 65 Prozent der zur Heizung benötigten Leistung.

Iters Plasma soll von 2026 an zehnmal mehr Energie freisetzen als die Heizung verbraucht. Ursprünglich sollte der Reaktor ein noch ambitionierteres Ziel erreichen: die Fusionsreaktionen sollten so viel Hitze freisetzen, dass die externe Heizung abgestellt werden kann. Erst solch ein sich selbst heizendes Plasma würde sich zur Stromerzeugung eignen. Aber der Plan für einen internationalen Großreaktor mit diesem Ziel scheiterte 1998, da die USA nach Jahren der teuren, aber erfolglosen Standortsuche das Projekt verließen. Sie stießen erst 2003 wieder hinzu, nachdem man entschieden hatte, eine weniger als halb so große Variante zu bauen.

Von fünf Milliarden auf 15 Milliarden Euro

Seitdem geht es wieder aufwärts, wenn auch vor allem mit den Kosten. Aus ursprünglich fünf Milliarden Euro sind inzwischen geschätzte 15 Milliarden geworden. Gründe für die Preiserhöhung sollen gestiegene Rohstoffpreise und zusätzlicher Personalbedarf sein. Wie auch bei anderen wissenschaftlichen Großprojekten ist anfangs ein zu optimistisches Budget beschlossen worden. Ein Beispiel dafür ist das geplante Weltraumteleskop James Webb, der Nachfolger von Hubble. Im Falle von Iter kommt noch hinzu, dass die Abstimmung zwischen den rund um die Welt verstreuten Wissenschaftlergruppen aufwendig ist.

Auch sonst ist die Fusionsforschung ein teures Unterfangen: Deutschland gibt jährlich etwa 150 Millionen Euro für sein Fusionsprogramm aus, hinzu kommt in den nächsten zwei Jahren der deutsche Anteil an jenen 2,2 Milliarden Euro aus dem Haushalt der EU, die für den Bau von Iter aufgebracht werden müssen. Wegen der hohen Kosten plädieren die Grünen in Berlin und Brüssel für einen Ausstieg aus dem Iter-Projekt - sie wollen das Geld lieber in die regenerativen Energien investieren.

Die Fusionsforscher sind indes zuversichtlich, dass sie das Plasma im Griff haben. "Wir glauben nicht, dass in Iters Plasma irgendwelche Dinge passieren, die wir nicht vorhersehen können", sagt Hartmut Zohm vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching. Gewissheit, so hat die Vergangenheit gezeigt, wird aber erst der tatsächliche Versuch bringen. Das betrifft auch einen anderen Punkt: Möglicherweise gelingt es nicht, ausreichende Mengen des Brennstoffs Tritium herzustellen. Die radioaktive Wasserstoffvariante kommt auf der Erde so gut wie nicht vor und muss im Reaktor "erbrütet" werden. Noch ist unklar, wie gut das gelingt.

Nur wenn Iter dieses und andere Probleme lösen kann, wird ein Nachfolgeprojekt Unterstützung finden. Darin könnte dann die Wirtschaftlichkeit eines Fusionsreaktors, an den eine Turbine angeschlossen ist, erprobt werden. Erst die Nachfolger solch einer Demonstrationskraftwerks könnten ans Netz gehen - vielleicht in 50 Jahren. Wenn das letzte der 39 Gebäude auf dem Iter-Komplex fertig ist, fängt die Arbeit also erst an.

Wie die Kernfusion einmal funktionieren soll

Magnete Im 16 Meter hohen Reaktor wird ein dünnes Gas auf 150 Millionen Grad erhitzt. Durch starke Elektromagnete wird das Plasma in der Schwebe gehalten. Die Magnete werden stark gekühlt, damit sie den Strom nahezu ohne Verluste leiten.

Plasmakammer In der schlauchförmigen Kammer verschmelzen Kerne von Deuterium- und Tritiumatomen zu Helium. Dabei wird je ein Neutron frei. Die Wand fängt die Neutronen auf und führt die dabei entstehende Wärme ab. Aus dieser Wärme erzeugt ein Generator Strom. Das Ziel ist, deutlich mehr Strom zu erzeugen, als zum Betrieb der Elektromagnete benötigt wird.

Auslass Der Divertor am Boden der Plasmakammer ist für extrem hohe Temperaturen ausgelegt. Dort wird verbrauchtes Gas abgesaugt.

Instrumente 50 Messgeräte überwachen Druck, Temperatur und eventuelle Verunreinigungen des Gases.