Bis über ihren Antrag entschieden wird, vergeht für Asylbewerber eine schwere Zeit der Ungewissheit.In Pleidelsheim treffen sich 20 von ihnen jeden Freitag zum Fußball. Die Spieler des FC Doppelpass kicken, um ihre Sorgen loszuwerden.

Pleidelsheim - Yahya ist ein feiner Dribbler. Trotz seiner hautengen Jeans und den abgenutzten Schuhen rast er geschmeidig über den Platz. Auf dem Kunstrasen klebt der Ball förmlich an seinem rechten Fuß. Mit eleganten Finten tänzelt er durch die schwerfälligen Abwehrreihen. Wer ihn aufhalten will, muss schon ein Foul riskieren. Und weil alle zurückziehen, zirkelt er fast gemütlich eine Kugel nach der anderen unhaltbar in die oberen Torwinkel. Am besten stoppt man den 22-jährigen Gambier wohl, in dem man ihn gar nicht erst an den Ball kommen lässt. Aber Yahya ist flink. Schon wieder zappelt der Ball im Netz. „Der ist bockstark, der Beste von den Jungs hier“, sagt Samuel Hartmann, der an der Außenlinie steht.

 

Die Jungs, das sind um die 20 Flüchtlinge aus Syrien, Eritrea und Gambia, die seit Januar in Pleidelsheim in einem Flüchtlingsheim eine vorübergehende Bleibe gefunden haben. Hartmann selbst ist evangelischer Gemeindepfarrer. Er hat für die Flüchtlinge den FC Doppelpass ins Leben gerufen. Jeden Freitag steht die Hobby-Fußballmannschaft von 16.30 Uhr an auf dem Kunstrasen des Vereinsgeländes des GSV Pleidelsheim und tritt für 90 Minuten gegen das Leder.

Und wie jede Mannschaft, hat auch der FC Doppelpass schon seinen Starspieler: Yahya. Als der Beste auf dem Feld für ein paar Interviewfragen an die Außenlinie gerufen wird, trabt er lustlos zur Auswechselbank. Er will nur unter der Bedingung antworten, dass er anonym bleiben darf. „Yahya“ wählt er als Pseudonym. Er habe Angst, sagt er, dass sein Asylverfahren negativ beeinflusst werden könnte.

Die Mitspieler werden ungeduldig

Doch das Gespräch dauert nicht lange. Yahya erklärt ungeduldig, dass er in Gambia das Fußballspielen gelernt hätte. „Auf dem Sand. Da muss man eng dribbeln, sonst springt der Ball weg“, sagt er. Aber schon kurze Zeit später werden hinter ihm Beschwerden in einem Mischmasch aus Arabisch, Französisch und Englisch laut. Seine Mannschaftskameraden und sogar das gegnerische Team fordern, dass Yahya weiterspielen soll. „Sorry“, sagt er achselzuckend und sprintet wieder zurück ins Feld.

„Wir haben den Platz nur bis 18 Uhr für uns. Die Jungs wollen jede Minute zum Kicken nutzen“, erklärt Hartmann. Zusammen mit Friedrich Löblein vom Arbeitskreis Asyl in Pleidelsheim wollte er den Flüchtlingen eine Möglichkeit bieten, zur Abwechslung etwas Sport treiben zu können. „Den Rest der Woche verbringen sie zum Großteil mit Nichtstun. Sie dürfen nicht arbeiten und können momentan noch keinen Sprachkurs besuchen. Sie warten die ganze Zeit nur auf den Asylbescheid“, sagt Löblein. Dieser kommt per Brief vom Bundesamt für Migration in Karlsruhe – und von diesem Brief hängt die Zukunft der Flüchtlinge ab. Irgendwann, wenn über das jeweilige Asylgesuch entschieden wurde, landet ein schlichter Brief im Postkasten des Heims und klärt die Flüchtlinge darüber auf, ob sie ein Bleiberecht erhalten oder nicht. Bis dahin herrscht die große Ungewissheit.

Friedrich Löblein ist der einzige Ansprechpartner, den die Flüchtlinge haben. Er kümmert sich nicht nur um die bürokratischen Angelegenheiten der Asylbewerber, er ist auch ihr Übersetzer. Monate vor der Ankunft der ersten Flüchtlinge wandte er sich mit einem Aufruf an die Ortsbewohner, doch Fahrräder und Kleidung zu spenden. „Zuerst waren die Einwohner skeptisch, aber das hat sich gelegt. Die Hilfsbereitschaft ist inzwischen sehr groß“, erzählt der Leiter des Arbeitskreises.

Das Zittern vor dem Briefkasten

Das kann auch Muhammad bestätigen. Der Syrer steht inzwischen am Spielfeldrand und spricht von einem „idyllischen Deutschland“. Der 19-Jährige ist über die Türkei und Italien nach Deutschland geflohen und will am liebsten Medizin an der Freien Universität in Berlin studieren. Er hofft, dass er hier bleiben darf. „Ich habe Angst, dass ich nach Italien zurückgeschickt werde. Für die Polizisten dort waren wir nur Menschen zweiter Klasse“, klagt er, „hier in Deutschland sind die Leute sehr freundlich zu uns. Wir wurden gut aufgenommen.“

Aber auch das deutsche Idyll habe manchmal seine dunklen Seiten, erzählt Muhammad: „Ich schaue jeden Tag in den Briefkasten, ob der Bescheid aus Karlsruhe da ist. Mir zittern jedes Mal die Hände.“ Seit mehreren Wochen wartet er nun schon ungeduldig auf den Bescheid – und kann an nichts anderes mehr denken: „Das Warten ist fast genauso schrecklich wie die Flucht. Wir tun den ganzen Tag nichts anderes als warten und warten. Das hier!“, sagt er und zeigt mit der Hand auf das Fußballspiel, in dem Yahya immer noch wie eine Gazelle über den Kunstrasen tänzelt, „das hier ist das Einzige, das uns irgendwie die Sorgen nimmt. Es macht zumindest den Kopf frei. Auch wenn es nur für 90 Minuten ist.“

Samuel Hartmann hat dafür gesorgt, dass neben den Flüchtlingen auch einige Bewohner aus Pleidelsheim auf dem Feld stehen. „Wir haben im Gemeindeblatt angekündigt, dass hier jeder willkommen ist. Manchmal kommen ein paar Jugendliche und kicken mit“, sagt er. Das schweiße zusammen und helfe den Flüchtlingen sehr. „Das kann manchmal zu einer sehr emotionalen Sache werden“, erzählt Löblein, „es entstehen echte Freundschaften, die dann aber auseinanderbrechen, weil die Flüchtlinge in ein anderes Heim umziehen oder manchmal leider abgeschoben werden.“

Schlechte Chancen für Yahya

In Deutschland wurden im vergangenen Jahr mehr als 200 000 Asylanträge gestellt – viele davon von Syrern, die auf Grund des Bürgerkrieges aus ihrem Heimatland fliehen mussten. Im Normalfall wird von Fall zu Fall über einen Asylantrag entschieden. Aber wegen der allgemeinen existenziellen Bedrohungslage „erhalten so gut wie alle Syrer in Deutschland Asyl“, sagt Löblein. Muhammad wird wohl bleiben dürfen. Über die Asylbewerber aus Gambia, wie Yahya, kann Löblein keine sichere Aussage treffen. „Aus Erfahrung stehen die Chancen aber eher schlecht“, meint er.

Als die Pleidelsheimer Kirchenglocken Punkt 18 Uhr schlagen, endet schließlich der Kick des FC Doppelpass. Yahya steht nach 90 Minuten verschwitzt an der Außenlinie und wirft sich die Jacke um die Schultern. „Gambia war mal schön“, erzählt er, „jetzt herrscht dort die Diktatur, und keiner ist mehr frei.“ Die Angst um sein Leben hätte ihn aus dem Heimatland vertrieben. Auch er kam über Italien nach Deutschland. Ebenso wie Muhammad hat er schlechte Erfahrungen mit den italienischen Polizisten gemacht. In Rom sei er sehr krank gewesen. Er zeigt seinen mit Narben überzogenen Bauch, kann aber nicht genau sagen, wie die Ärzte die Krankheit nannten. „Erst in Deutschland haben mich die Ärzte operiert. Jetzt geht es mir viel besser“, sagt er.

Yahya ist der Einzige vom FC Doppelpass, der bei einem Fußballverein in der Nähe spielt. Vergangenes Wochenende stand er er zum dritten Mal in der Startelf eines Kreisligisten. Das 1:3 konnte er aber nicht verhindern. Auch, weil er nur 85 Minuten auf dem Feld war. Dann musste er mit Gelb-Rot vom Platz. Warum? Yahya winkt ab. Das sei egal, denn er hatte seinen Spaß: „Auf dem Rasen kann ich viel besser dribbeln“, sagt er lächelnd. Die Dribblings auf dem trockenen Sandboden Gambias hat er hinter sich gelassen. Er will sich nicht einmal vorstellen, dass er wieder zurückgeschickt werden könnte.

„Ich freue mich einfach auf das nächste Ligaspiel am Sonntag“, sagt Yahya – da will er 90 Minuten durchspielen. Und die Ungewissheit vergessen. Vielleicht ist diesmal ja auch ein Sieg drin.