Verbände und private Bildungsträger fordern klare Richtlinien für Kooperationen mit den Schulen im Ganztagesbereich. Kinder und Jugendliche bräuchten auch noch Freiräume zur Gestaltung ihrer Hobbys.

Stuttgart - Groß ist die Sorge bei den Vertretern von Sportverbänden, Kirchen und Bildungsträgern im Bereich Musik, dass eine flächendeckende Einführung und Verstetigung von Ganztagsschulangeboten auch erhebliche Umwälzungen in vielen gesellschaftlichen Bereichen nach sich zieht. Diese, so die Befürchtung der Verantwortlichen, könnten zum Nachteil der Vereine, Verbände und Bildungseinrichtungen geraten, die seit Jahrzehnten Bildungs- und Betreuungsangebote außerhalb der Schulen machen. Mit einem gemeinsamen Appell wurde die Landesregierung am Freitag bei einer vom Württembergischen Landessportbund (WLSB) organisierten Fachtagung zur Ganztagsschule dazu aufgefordert, die Schulschlusszeiten verbindlich auf spätestens 16 Uhr festzulegen und mindestens einen unterrichtsfreien Nachmittag pro Woche zu garantieren.

 

Außerdem wollen die Verbände in die Konzeption der Ganztagsschulen eingebunden werden. Schließlich könne nicht nur gefordert werden, die Vereine müssten sich engagieren. „Wenn, dann wollen wir auch Partner auf Augenhöhe sein“, so der WLSB-Präsident Klaus Tappeser.

Freiräume für Kinder und Jugendliche

Grundsätzlich sei man für die Einrichtung von Ganztagsschulen, sagte Tappeser. Wichtig sei aber, dass darauf geachtet werde, dass die Kinder und Jugendlichen auch in Zukunft genügend Freiraum hätten, um ihren individuellen Interessen in der Freizeit nachgehen zu können – in Sport- oder Musikvereinen, im kirchlichen Bereich oder bei anderen Aktivitäten.

„Leben ist mehr als bloß Schule, und Lernen ist auch mehr als Schule“, so Tappeser. Er verwies darauf, dass laut wissenschaftlicher Studien „70 Prozent der Bildung eines Menschen außerhalb der Schule erfolgt“. Wenn die Ganztagsschule flächendeckend komme, müssten Angebote, die bisher außerhalb wahrgenommen worden seien, „in die Schulen hereingebracht werden“, so Tappeser. Die Schulen müssten sich öffnen, unter klaren Kriterien für Kooperationen. „Wir brauchen auch klare Anweisungen des Kultusministeriums an die Schulen, mit den Vereinen zu kooperieren.“

Landesmusikrat befürchtet Qualitätsverlust

Klaus Weigele, der Leiter der Musikakademie Ochsenhausen, sieht als Präsidiumsmitglied des Landesmusikrats langfristig die Qualität im Spitzenbereich von Musik und Sport in Gefahr, wenn die Kinder und Jugendlichen zu stark in der Schule eingebunden sind. Wenn nicht mehr genügend Zeit zum Üben bleibe, dann werde es immer weniger Spitzenkräfte geben. Gerade für Baden-Württemberg mit einem hohen Leistungsniveau sei dies kritisch. Erste Auswirkungen durch das achtjährige Gymnasium und Ganztagesschulangebote seien bereits zu spüren. In der Spitzengruppe bei Jugend Musiziert habe es schon einen Rückgang der Anmeldezahlen um etwa 25 Prozent gegeben.

Die Kirchen wollen sich laut Ute Augustyniak-Dürr, Ordinatsrätin der Diözese Rottenburg-Stuttgart, und dem Oberkirchenrat der Evangelischen Landeskirche, Werner Baur, künftig stärker mit Projekten in der Schule einbringen. Schließlich werde im Unterricht nur wenig gelehrt, was man später im Leben abseits von klassischem Wissen brauche. Baur glaubt aber, dass vieles, was bisher Ehrenamtliche geleistet haben, künftig Hauptamtliche gegen Vergütung übernehmen müssen. 49 000 Jugendliche seien in der Evangelischen Landeskirche engagiert – „doch die sind ja dann selbst gebunden“, so Baur mit Blick auf den Systemwechsel von der Halb- zur Ganztagsschule. Die Kosten für Mehrpersonal müsse das Land tragen. Heinz Janalik, der Präsident des Badischen Sportbundes Nord, erwartet für die Kräfte, die „mit guter fachlicher Ausbildung“ in den Schulen aktiv werden, auch eine adäquate Vergütung. „25 Euro pro Stunde müssen es schon sein.“

Geld für Koordinierungsstellen

Der WLSB will mit Geld aus einer Stiftung den Aufbau von Koordinierungsstellen fördern, die die Zusammenarbeit von Schulen und Verbänden organisieren. Hier erwartet Tappeser auch Unterstützung vom Land. Auch hofft er auf baldige Gespräche mit Verantwortlichen des Ministeriums, um endlich Klarheit darüber zu bekommen, wie die Zukunft aussehen soll.