Das Entführungsdrama hat die erst wenige Wochen alte Einheitsregierung schwer ins Wanken gebracht. Der Kitt, mit dem die alten Bruchstellen zwischen Fatah und Hamas notdürftig zugeschmiert wurden, bröselt unübersehbar. Zu Beginn, nach dem Verschwinden der drei jungen Israelis, die zuletzt am Abend des 12. Juni beim Trampen nahe des Siedlungsblocks Gusch Etzion gesehen worden waren, überwog noch der Schock. Die ersten Wellen der israelischen Militärrazzien wurden in den Autonomiegebieten hingenommen wie eine Naturgewalt. Aber inzwischen sind mehr als 360 Palästinenser verhaftet, die meisten kommen aus den Reihen der Hamas. Auch mehrere Tote gibt es bereits. Die Szenen aus der Westbank erinnern an die Intifada, allerdings eine, bei der nicht nur israelische Soldaten, sondern auch palästinensische Autonomiepolizisten in Ramallah schon mit Steinen eingedeckt wurden.

 

Der in Gaza abgedankte Hamas-Premier Ismael Hanija verklärt die Vorfälle als Rückkehr zum Volkswiderstand. Dabei geht in dem abgeriegelten Küstenstreifen längst die Angst vor einem neuen Krieg mit Israel um. „Ägypten hat die Grenze dichtgemacht, die Militanten bekommen keinen Nachschub mehr rein“, beschreibt der palästinensische Analyst Osama Antar die Lage. Wenn die Suche nach den Entführten in der Westbank nicht mehr weiterkomme, sei damit zu rechnen, dass sich die Israelis das Raketenarsenal der Islamisten in Gaza vorknöpften.

Doch anders als im Fall Schalit will es die Hamas diesmal nicht gewesen sein. Ihr Führungspersonal windet sich geradezu in den Stellungnahmen zu dem Mysterium um das Kidnapping, als ob es selber völlig im Dunkeln tappe. Vielleicht sei die ganze Geschichte nur von den Israelis erfunden, gibt Ismael Radwan, bis vor kurzem Religionsminister in Gaza, auf die Frage zurück, wie die Hamas dazu stehe. Vielleicht steckten auch Kriminelle dahinter. „Wir vom politischen Flügel wissen nichts darüber und unsere Kassem-Brigaden offenbar auch nicht, sonst hätten sie sich dazu bekannt.“ Soviel Stochern im Nebel war selten. Alle bangen, alle hoffen, dass das Entführungsdrama in ihrem Sinne ausgeht.

„Hauptsache, Abbas hält dem Druck stand und knickt nicht vor den israelischen Besatzern ein“, meint Hamas-Mann Radwan. Ganz anders klingt Mohammed Nahal, Mitglied im Revolutionsrat der gemäßigten Fatah. Erst vor kurzem hat er ein modernes Büro in einem neuen Hochhaus in Gaza-City bezogen. Diverse Wohlfahrtsorganisationen der PLO, der Palästinensischen Befreiungsorganisation, sind dort untergebracht. „Das Wichtigste ist“, bekräftigt Fatah-Mann Nahal und klopft auf den Schreibtisch, „dass die Lage friedlich endet, die gekidnappten Siedler gefunden werden und wir mit unserer gewaltlosen Strategie weitermachen können.“ Er könne sogar gut nachvollziehen, was deren Familien durchmachten. „Sie reden wie alle Väter und Mütter, die ihre Söhne zurück haben wollen.“

Verhaftungen ohne konkreten Tatvorwurf – auf beiden Seiten

Sieben Jahre lang hat Samir Abu Oun ohne feste Arbeit zu Hause verbracht. Seinem Vorgarten in Beit Lahia im nördlichen Gazastreifen ist es gut bekommen, dass der 55-Jährige so viel Zeit hatte. „Meine Ehefrau und die Kinder haben schon eher darunter gelitten, dass ich dauernd daheim rumsitze“, erzählt Abu Oun mit bitterem Schmunzeln. „Natürlich“, fügt er hinzu, würde er liebend gerne wieder auf seine alte Stelle als Sergeant zurückkehren. Aber bislang ist es bei der Ankündigung in den Medien geblieben, 3000 Männer aus den Reihen der Fatah würden in die bislang von der Hamas dominierten Polizeibehörden in Gaza integriert. „Niemand hat mich einbestellt“, sagt Abu Oun. Und ehrlich gesagt, könne er sich auch schwerlich vorstellen, mit Hamas-Kollegen zusammen zu arbeiten. So sehr er selbst für nationale Einheit und innerpalästinensische Versöhnung sei.

Nicht nur sein Schnauzbart unterscheidet ihn von den meist vollbärtigen Hamas-Anhängern. Auch Abu Ouns Ansichten und die der Radikalislamisten driften weit auseinander. Als eingeschworener Gefolgsmann von Präsident Abbas hat Abu Oun kein Problem damit, dass dessen Truppen im Westjordanland sich an der Suche nach den drei gekidnappten israelischen Religionsstudenten beteiligen. Auch auf ihn wäre bei solchem Einsatz Verlass.

Derartige Bekenntnisse sind derzeit nicht eben populär unter den Palästinensern. Je länger die Fahndung dauert, umso mehr schwappt Unmut hoch über Abbas, der mit den Israelis kollaboriere und in manchen Reden mehr Mitgefühl für entführte jüdische Siedler an den Tag lege als für sein eigenes bedrängtes Volk.

Die gerade erst gebildete Einheitsregierung droht zu scheitern

Das Entführungsdrama hat die erst wenige Wochen alte Einheitsregierung schwer ins Wanken gebracht. Der Kitt, mit dem die alten Bruchstellen zwischen Fatah und Hamas notdürftig zugeschmiert wurden, bröselt unübersehbar. Zu Beginn, nach dem Verschwinden der drei jungen Israelis, die zuletzt am Abend des 12. Juni beim Trampen nahe des Siedlungsblocks Gusch Etzion gesehen worden waren, überwog noch der Schock. Die ersten Wellen der israelischen Militärrazzien wurden in den Autonomiegebieten hingenommen wie eine Naturgewalt. Aber inzwischen sind mehr als 360 Palästinenser verhaftet, die meisten kommen aus den Reihen der Hamas. Auch mehrere Tote gibt es bereits. Die Szenen aus der Westbank erinnern an die Intifada, allerdings eine, bei der nicht nur israelische Soldaten, sondern auch palästinensische Autonomiepolizisten in Ramallah schon mit Steinen eingedeckt wurden.

Der in Gaza abgedankte Hamas-Premier Ismael Hanija verklärt die Vorfälle als Rückkehr zum Volkswiderstand. Dabei geht in dem abgeriegelten Küstenstreifen längst die Angst vor einem neuen Krieg mit Israel um. „Ägypten hat die Grenze dichtgemacht, die Militanten bekommen keinen Nachschub mehr rein“, beschreibt der palästinensische Analyst Osama Antar die Lage. Wenn die Suche nach den Entführten in der Westbank nicht mehr weiterkomme, sei damit zu rechnen, dass sich die Israelis das Raketenarsenal der Islamisten in Gaza vorknöpften.

Doch anders als im Fall Schalit will es die Hamas diesmal nicht gewesen sein. Ihr Führungspersonal windet sich geradezu in den Stellungnahmen zu dem Mysterium um das Kidnapping, als ob es selber völlig im Dunkeln tappe. Vielleicht sei die ganze Geschichte nur von den Israelis erfunden, gibt Ismael Radwan, bis vor kurzem Religionsminister in Gaza, auf die Frage zurück, wie die Hamas dazu stehe. Vielleicht steckten auch Kriminelle dahinter. „Wir vom politischen Flügel wissen nichts darüber und unsere Kassem-Brigaden offenbar auch nicht, sonst hätten sie sich dazu bekannt.“ Soviel Stochern im Nebel war selten. Alle bangen, alle hoffen, dass das Entführungsdrama in ihrem Sinne ausgeht.

„Hauptsache, Abbas hält dem Druck stand und knickt nicht vor den israelischen Besatzern ein“, meint Hamas-Mann Radwan. Ganz anders klingt Mohammed Nahal, Mitglied im Revolutionsrat der gemäßigten Fatah. Erst vor kurzem hat er ein modernes Büro in einem neuen Hochhaus in Gaza-City bezogen. Diverse Wohlfahrtsorganisationen der PLO, der Palästinensischen Befreiungsorganisation, sind dort untergebracht. „Das Wichtigste ist“, bekräftigt Fatah-Mann Nahal und klopft auf den Schreibtisch, „dass die Lage friedlich endet, die gekidnappten Siedler gefunden werden und wir mit unserer gewaltlosen Strategie weitermachen können.“ Er könne sogar gut nachvollziehen, was deren Familien durchmachten. „Sie reden wie alle Väter und Mütter, die ihre Söhne zurück haben wollen.“

Verhaftungen ohne konkreten Tatvorwurf – auf beiden Seiten

Nahal hat in den Jahren der politischen Spaltung reichlich Erfahrung mit Hamas-Gefängnissen gemacht. Um die zwanzig Mal haben die Hamas-Schergen ihn verhaftet. „Sie kamen bei Tag und Nacht, jedes Mal, wenn in der Westbank die Autonomiepolizei ein Hamas-Mitglied einkassierte.“ Seine fünf Kinder im Alter zwischen 14 und 26 Jahren seien schon deshalb so glücklich über das Versöhnungsabkommen gewesen, weil es mit diesen bösen Überraschungsbesuchen jetzt vorbei sei. Aber bitte, fügt er hinzu. Die Welt müsse doch ebenso begreifen, was es für die Palästinenser bedeute, mehr als 5000 ihrer Landsleute in israelischen Haftanstalten zu wissen. Sicher, unter ihnen befänden sich „harte Kaliber“, aber nicht nur. Rund 200 Palästinenser sind als sogenannte Administrativhäftlinge eingesperrt, das heißt ohne konkreten Tatvorwurf und ohne Möglichkeit, sich in einem fairen Verfahren verteidigen zu können. Dagegen richtet sich der seit über einem Monat andauernde Hungerstreik, an dem sich inzwischen 300 Gefangene beteiligen und zu dessen Unterstützung das Soli-Zelt unweit von Nahals Büro aufgeschlagen wurde.

Dort staut sich mittlerweile die Mittagshitze unter dem Zeltdach. Die Banner mit den Slogans, die Ketten zu sprengen, baumeln schlapp wie Segel in der Flaute. Wafa al-Biss, die gescheiterte Selbstmordattentäterin, hat sich längst davon gemacht. Nur wenige Angehörige von Gefangenen harren zu dieser Stunde noch aus. Ihr Leben besteht ohnehin aus Warten – auf den eigenen Staat, auf die nächste Konfrontation und oft auch nur auf die nächste Besuchserlaubnis in einem israelischen Gefängnis. Immerhin, sie wissen, dass ihre Lieben noch leben. Die Familien der drei entführten Talmud-Schüler haben nicht einmal diese Gewissheit.