Ein heute 48-jähriger Mann wird eines grausigen Verbrechens beschuldigt. Er soll 1987 die italienische Eisverkäuferin Antonella B. gefoltert, missbraucht und erdrosselt haben. Fast 28 Jahre nach der Tat hatte sich der Mann in Basel gestellt.

Karlsruhe - Mit seiner Schuld wollte und konnte er offenbar nicht mehr länger leben. Fast 28 Jahre nach seiner Bluttat hatte sich ein 48 Jahre alter Mann Ende Februar bei einer Polizeidienststelle im schweizerischen Basel gestellt. Seit Dienstag wird der Fall vor der 7. Jugendstrafkammer des Landgerichts Karlsruhe verhandelt, weil der mutmaßliche Täter Paul P. zur Tatzeit erst 20 Jahre alt war. Dieses Vorgehen sei zwingend, meint die Staatsanwaltschaft. Sollte er nach Jugendstrafrecht abgeurteilt werden, drohen dem Angeklagten bis zu zehn Jahre Haft.

 

Grausamer Tod

Der Fall trägt höchst ungewöhnliche Züge, und laut Kriminalexperten komme es nur selten vor, dass ein Täter sich nach so langer Zeit den Justizbehörden stelle: die Tat, die sich am Nachmittag des 21. Juni 1987 im Hardtwald nur wenige Meter nördlich des Karlsruher Schlossgartens ereignete, war von vielen Zufällen bestimmt. Zum Opfer fiel ihr eine italienische Eisverkäuferin, die als Ferienjobberin nur wenige Monate in der nordbadischen Stadt verweilen wollte – und kaum Deutsch sprach. Bis heute erinnert ein Gedenkstein unweit eines Fußwegs im Hardtwald an den grausamen Tod der damals 25-jährigen Antonella B., aufgestellt schon wenige Zeit nach der Tat von der Katholischen italienischen Mission der Stadt. Den Eltern aus Südtirol, die die Tochter gar nicht hatten gehen lassen wollen, blieb jenen Sommer die traurige Pflicht, das tote Kind zu identifizieren: in einer Stadt, von der sie nichts wussten.

Der mutmaßliche Täter will sich erleichtern

Auch der mutmaßliche Täter erscheint hin und her gerissen zwischen verschiedenen Lebenswelten. Er ist deutscher Staatsbürger, lebte aber bisher die meiste Zeit in der Schweiz. Als er am Dienstag in Handschellen den Gerichtssaal betritt, verbirgt er sein Gesicht hinter einer roten Aktenmappe. Schwarze Haare, Brille, ein kleiner Kinnbart – die Gesichtszüge vermitteln Niedergeschlagenheit, die meiste Zeit der Vernehmung beugt er sich nach vorne Richtung Tischplatte, oft ist er nur schwer zu verstehen. Sein Mandant „will sich erleichtern“, sagt der ihm zugewiesene Pflichtverteidiger.

Das tut der 48-jährige Paul P. denn auch ausführlich, weit mehr als eine Stunde lang äußert er sich zur Person – und zum eigentlichen Tathergang, soweit er ihm erinnerlich erscheint. Die ersten zwei Jahre der Kindheit verbrachte er bei Karlsruhe, dann zog die Mutter mit dem Stiefvater nach Basel. Drei Geschwister habe er, sagt er. 1980 ging es zurück nach Nordbaden, zwei Jahre später habe ihn der neue Stiefvater – „der war lange in der Fremdenlegion“ – aus der Wohnung geworfen. Paul P. kam ins Kinderheim, einen Schulabschluss hat er nicht. Auch zur Tatzeit – mit 20 Jahren – lebte er in einer Jugendhilfeeinrichtung bei Stutensee im Kreis Karlsruhe.

Bild im Kopf wurde immer unerträglicher

Warum er sich jetzt, also fast 28 Jahre nach der Tat, der Justiz stellte? „Da war immer wieder dieses Bild im Kopf“, sagt er in der Verhandlung unter Vorsitz von Richter Peter Schweikart wiederholt. Das sei am Schluss unerträglich gewesen. Zeitweilig habe sich die Erinnerung daran verflüchtigt, dann sei es wieder hochgekommen: „Besonders nach dem Tod der Mutter im Jahr 2002.“ Das, was er mit diesem Bild meint, hatte in Karlsruhe im Vorfeld des Prozesses zu Spekulationen geführt über „eine Form von Ritualmord“, wofür es bisher aber keine Bestätigung gab. An jenem Samstag im Juni 1987 habe er sich von Stutensee aus mit dem Fahrrad zum Karlsruher Schlossgarten aufgemacht. Auf einer Parkbank „habe er ein bis zwei Liter Bier getrunken“, während im benachbarten Wildparkstadion Tina Turner ein Livekonzert gab. Der ebenfalls mit dem Fahrrad im Schlossgarten verweilenden jungen Italienerin Antonella B. wurde es zum Verhängnis, dass sie ihn nach dem Weg fragte. Wenige Minuten später habe er diese verfolgt, sagt Paul P.: Er „sei spitz gewesen“ und „wohl auch angetrunken“.

Urteil wird 16. Oktober erwartet

Als sie ihn auf Italienisch beschimpft habe, habe er „rotgesehen“. Die weiteren Aussagen differieren deutlich von Erkenntnissen der Ermittler. Er habe sie gewürgt, und erst losgelassen „als sie nicht mehr zappelte“, sagt er. Die Gerichtsmedizin hatte dagegen eine mehrere Zentimeter breite Strangulationsfurche am Hals festgestellt und von einem qualvollen Tod gesprochen. Malträtiert und missbraucht wurde Antonella B. 24 Stunden nach der Tat gefunden. Paul P. ging wieder nach Basel zurück.

Für den Prozess sind fünf Verhandlungstage angesetzt, das Urteil wird am Freitag der kommenden Woche erwartet. Drei Nebenkläger begleiten das Verfahren. Ob für den angeklagten 48-jährigen Mann tatsächlich das Jugendstrafrecht angewendet wird, soll im Rahmen der Urteilsverkündung bestimmt werden.