In Großbritannien haben Behörden Akten veröffentlicht, die 70 Jahre lang geheim waren. Darunter sind Informationen über einen kuriosen Offizier, der beinahe einen Skandal ausgelöst hat.

Über Oberstleutnant Dudley Clarke sprachen die Vorgesetzten stets nur in den höchsten Tönen. „Kein anderer Offizier“ in britischen Diensten habe mehr zum Sieg im Zweiten Weltkrieg beigetragen als der gebürtige Südafrikaner, schwärmte beispielsweise ein Feldmarschall. Zwischendurch sorgte Dudley Clarke, der Geheimagent Ihrer Majestät, freilich auch für Heiterkeit.

 

Das war, als er sich im Oktober 1941 von der spanischen Polizei dabei erwischen, wie er in Frauenkleidern durch Madrid spazierte. Er habe Material für ein Buch sammeln wollen, lautete die lahme Ausrede des offiziell als „Times“-Korrespondent arbeitenden Agenten. Während deutsche Agenten im offiziell neutralen Spanien zu Recht eine „erstklassige Spionagegeschichte“ witterten, taten die Sicherheitskräfte des Diktators Francisco Franco den bizarren Auftritt als „homosexuelle Affäre“ ab. Clarke wurde auf Drängen der Briten aus der Haft entlassen und eiligst nach Gibraltar verfrachtet.

Der Agent mit dem Büstenhalter

Die hübsche Geschichte vom Agenten im Büstenhalter, in dessen Gepäck die erregte Polizei „eine Rolle superfeinen Toilettenpapiers“ fand, blieb mehr als 70 Jahre lang streng geheim. Jetzt veröffentlichte die Londoner Kabinettsbehörde ein Konvolut von Akten aus der Zeit von 1936 bis 1951, darunter auch den detaillierten Brief der britischen Botschaft in Madrid über Clarkes Auftritt. Viele der Papiere hätten jahrzehntelang in zwei Räumen im Regierungsviertel Whitehall gelagert, erzählt Gill Bennett, die frühere Chefhistorikerin des Foreign Office. „Diverse Papiere des Kabinettssekretärs“, lautete die offizielle Bezeichnung, und so sah es im Archiv auch aus: „Einfach nur Berge von Akten, völlig ungeordnet“, sagt Bennett, und die Empörung über diese skandalösen Zustände ist ihr noch im Nachhinein anzumerken.

Dass das einstmals brisante Material jetzt säuberlich geordnet im Staatsarchiv von Kew einzusehen ist, verdanken die Geheimdienst-Historiker einem Kabinettssekretär mit Sinn für Historisches. In Richard Wilsons Amtszeit (1998–2002) als höchster Beamter des Landes wurden die „diversen Papiere“ seiner Vorgänger erstmals systematisch erfasst und geordnet. Bennett war dann noch jahrelang damit befasst, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Schließlich ging es auch stets um die Frage: Welche Einzelheiten britischer Schlapphut-Tätigkeit sollen auch in Zukunft geheim bleiben? Naturgemäß gibt es darauf keine Antwort.

„Purer le Carré“ in den Akten

Immerhin lässt sich jetzt nachlesen, in welch nüchterner Prosa Wilsons legendärer Vorgänger im Amt des Kabinettssekretärs, Norman Brook, 1951 die Bemühungen seiner Spione gegen die Sowjetunion bewertete. Es gebe kaum Fortschritte, keinerlei verlässliche Quellen, heißt es in den Akten.

Da habe man „einen Schnappschuss britischer Geheimdienst-Tätigkeit in Technicolor“, freut sich der renommierte Geschichtsprofessor Peter Hennessy über den Aktenfund jetzt. Die Unterlagen selbst sowie die Umstände ihrer Unterbringung lassen „das Herz eines alternden Historikers höherschlagen“, sagt der 66-Jährige: „Das ist purer le Carré.“ Schließlich habe der Autor glänzender Spionagethriller („Der Spion, der aus der Kälte kam“) und frühere Geheimdienstagent in seinen Büchern schon häufiger düstere Archivräumen mit streng geheimem Material erwähnt.

Schwarz auf weiß bestätigt liegt nun auch vor, was Kenner der britischen Monarchie längst ahnten: In den turbulenten Tagen vor der Abdankung Edwards VIII. im Dezember 1936 ließ die damalige Regierung ihren Monarchen abhören. In der Anweisung des damaligen Innenministers an die Postbehörde ist diskret von Anrufen des Königs „auf dem europäischen Kontinent“ die Rede – genauer gesagt ging es um die Kommunikation mit seiner Geliebten und späteren Frau Wallis Simpson, die sich zu diesem Zeitpunkt bei Freunden in Südfrankreich befunden haben soll. Die Abhöraktion stelle „gar keine Überraschung“ dar, urteilt der Historiker Hugo Vickers, schließlich stand die Stabilität des Staatswesens auf dem Spiel.