Vor 100 Jahren haben sich die Altenstädter den Geislingern an den Hals geworfen. Dabei wären sie im Grunde ihres Herzens auch heute noch lieber solo. Aber was soll’s!

Region: Corinna Meinke (com)

Geislingen - Altenstädter wird man nicht, Altenstädter ist man.“ Mit diesem Bonmot wurde Hansjürgen Gölz, der aus der Geislinger Oberstadt stammt, von einem Genossen aus Altenstadt beschieden, als er seine Arbeit am dortigen Michelberggymnasium antrat. Während seiner rund zehnjährigen Tätigkeit als Lehrer in dem Geislinger Teilort, der als einziger tatsächlich ganz nah an Geislingen liegt, sind dem langjährigen Stadtrat einige der typischen Befindlichkeiten begegnet.

 

Ab und an verschafft sich die Altenstädter Seele Luft

Hundert Jahre liegt die Eingemeindung des ehemaligen Straßendorfes schon zurück, und im Alltag sind die Unterschiede zwischen Oberer Stadt und Altenstadt längst verwischt. Aber beim Fasching oder am Stammtisch verschafft sich die geschundene Altenstädter Seele, die stolz ist auf ihre proletarischen Wurzeln, dann doch mal Luft und wettert über die reiche Schwester.

Von den neuen Firmen profitiert nur Geislingen

Es war nämlich das liebe Geld, das die Altenstädter den Geislingern in die Arme trieb. Die zweite industrielle Revolution hatte dafür den Startschuss gegeben, denn bei den großen Firmen wie der WMF oder der MAG zog die Elektrotechnik in den Werkshallen ein, und es wurde nach mehr Arbeitern verlangt. Die Geislinger boten die Arbeitsplätze, hatten aber viel zu wenig Platz, um die Neubürger alle aufzunehmen. Im Zeitraum zwischen 1880 und 1912, dem Jahr der Eingemeindung, stieg die Bevölkerungszahl der Gesamtstadt von 5435 auf 13 966 Menschen an. Dieses rasante Wachstum war nur möglich, weil es im westlich gelegenen Altenstadt genügend Platz gab, und so entstanden historische Quartiere wie der Seebach, die Vordere und die Hintere Siedlung. Gleichzeitig musste Altenstadt Straßen, Kanalisation und Schulen bauen. Die Gemeinde war von dieser Herkulesaufgabe schnell überfordert, denn wirtschaftlich profitierte in erster Linie Geislingen von dem Aufschwung, erklärt der Leiter der Stadtarchivs, Hartmut Gruber. Die Gewerbesteuer der großen Firmen floss nämlich in den Geislinger Stadtsäckel, weil WMF und MAG auf Geislinger Markung lagen.

Altenstadt stand vor dem Ruin

Im Jahr 1902 stand Altenstadt am Rande des finanziellen Ruins, und als einziger Ausweg wurde dann doch der Antrag auf Eingemeindung angesehen. Es dauerte geschlagene zehn Jahre, bis sich die Geislinger erweichen ließen. Der Eingemeindungsvertrag wurde schließlich am 1. April 1912 von den Repräsentanten der beiden Kommunen unterzeichnet. Das Interesse der Geislinger am Altenstädter Energieversorger Albwerk soll der Vernunftehe schließlich ebenso auf die Sprünge geholfen haben wie der politische Druck der Kreisregierung in Ulm.

FestaktDie Eingemeindung wird am Sonntag, 1. April, 10.30 Uhr mit einem Festvortrag des Stadtarchivars Hartmut Gruber im Wappensaal des Albwerks gefeiert. Zwei Vorträge in der Galerie im Alten Bau folgen am 16. und 23. April, 19.30 Uhr. Erst beschäftigt sich H.J. Gölz mit der Industrialisierung und Siedlungserweiterung in Altenstadt, dann spricht Willi-Martin Jäger über Altenstädter Familiengeschichten.