Für die Europäische Zentralbank ist die Inflationsrate das Maß aller Dinge. Derzeit sei sie zu niedrig, sagt der EZB-Vizechef Vítor Constâncio. Auf Stabilitätsrisiken könne die EZB keine Rücksicht nehmen.

Korrespondenten: Barbara Schäder (bsa)

Frankfurt - Die Europäische Zentralbank (EZB) will in ihrem Kampf gegen die Mini-Inflation keine Rücksicht auf Risiken für die Finanzstabilität nehmen. Nach Aussage ihres Vizepräsidenten muss sie in Kauf nehmen, dass durch ihre Geldpolitik Preisblasen etwa auf dem Immobilienmarkt entstehen könnten. Aufgabe der Notenbank sei es, die Teuerungsrate im Euroraum von derzeit 0,4 Prozent zu erhöhen, sagte EZB-Vizechef Vítor Constâncio am Donnerstag: „Das übergeordnete Ziel, das vor allen anderen Vorrang hat, ist Preisstabilität.“ Diese wäre nach Definition der Notenbank bei einer Inflationsrate von knapp zwei Prozent gegeben. Zwar sei sich die EZB der Risiken ihrer lockeren Geldpolitik bewusst, sagte Constâncio. Finanzstabilität zu gewährleisten, sei aber keine vorrangige Aufgabe der Geldpolitik. Das gehe aus dem EU-Vertrag eindeutig hervor.

 

Wenn die EZB die Entstehung von Preisblasen etwa auf den Anleihe- oder Immobilienmärkten verhindern solle, müsse der EU-Vertrag geändert werden, sagte Constâncio. Maßgeblich für die Geldpolitik ist bisher die Entwicklung der Verbraucherpreise, die in den vergangenen zwölf Monaten kaum gestiegen sind. In Deutschland lagen sie im November 0,6 Prozent über dem Vorjahresmonat, in Baden-Württemberg 0,5 Prozent.

Die Nationalstaaten sind gefordert

Constâncio betonte, es gebe durchaus Instrumente, die Gefahr einer Blasenbildung einzudämmen. Diese lägen allerdings bei den einzelnen Eurostaaten. Als Beispiel nannte der EZB-Vizepräsident den Immobilienmarkt: Ein wirksames Instrument gegen Hauspreisblasen wäre die Vorgabe, Kredite auf einen bestimmten Prozentsatz des Wertes der Immobilie zu begrenzen. Festlegen könnten solche Grenzen aber nur die nationalen Gesetzgeber, in einigen Ländern auch die Notenbanken.

Die Bundesbank hatte am Dienstag beklagt, dass sie über keine Handhabe verfüge. Die Bundesbank-Vizechefin Claudia Buch sagte dazu, noch bestehe kein Handlungsbedarf. In einigen Großstädten seien die Immobilienpreise aber deutlich überbewertet. Auch bei Unternehmensanleihen gebe es Hinweise auf Übertreibungen.

Lockere Geldpolitik ist „absolut notwendig“

Die EZB sieht diese lediglich in einem Teilbereich, nämlich bei Schuldtiteln von Unternehmen geringer Kreditwürdigkeit. Wegen ihrer vergleichsweise hohen Rendite sind diese Ramschpapiere derzeit sehr gefragt, weil sicherere Anleihen kaum noch Zinsen abwerfen. Sollte die EZB ihre seit einigen Wochen laufenden Wertpapierkäufe ausweiten, würde das allgemeine Zinsniveau noch weiter sinken – und die Attraktivität riskanter Anleihen steigen.

Constâncio räumte ein, ein weiteres EZB-Kaufprogramm könnte „die Jagd nach Rendite“ verschärfen. Konjunkturschwäche und Niedriginflation machten eine lockere Geldpolitik aber „absolut notwendig“. Sollten die laufenden Käufe nicht reichen, müsse die EZB nachlegen. Sonst verliere sie ihre Glaubwürdigkeit.