Ganz in Blau zeigt sich die Rotunde des Gemeindezentrums Arche mit einer Kunstaktion. Insgesamt 305 Platten wurden dafür von Bürgern und Inhaftierten der JVA bemalt.

Stuttgart-Stammheim - Eine Vernissage kann schon mal ein bisschen dauern. Ein Stündchen, auch mal zwei. Locker drei waren es am vergangenen Sonntag in der Arche. Und als die Letzten gingen, hatten sie das Bedürfnis nach dem klassischen Sonntagsbraten sicher längst weit, weit hinter sich gelassen. Freilich, von einer gewöhnlichen Ausstellungseröffnung konnte hier auch kaum die Rede sein. Eher von einer magischen Raumnahme, bei der sich die Alltagsvektoren der Zeit verflüchtigten.

 

So war auch der ökumenische Gottesdienst spürbar mehr als eine dem sakralen Raum und dem kirchlichen „Auftraggeber“ geschuldete Pflichtübung. Mehr als die Rahmung eines Aktes, bei dem die „Kirche in den Dialog mit Kunst tritt“, wie Pfarrerin Simone Sander die Grundidee benannte. Allzu greifbar war die Magie der Verwandlung eines Raumes – und deren Rückwirkung auf die Betrachter, auf die im Raum Anwesenden und vom Raum unmittelbar Umfassten, Eingenommenen. Das flächendeckende Blau der Wandung rege, so Sander, „die Suche nach unseren Fundamenten an“, hebe „den Blick nach oben in eine andere Sphäre“, lasse „erleben, dass wir von oben gehalten werden“.

Eine verblüffend schlichte Idee

Kirchenrat Reinhard Lambert Auer, Kunstbeauftragter der Landeskirche, skizzierte die Bedeutung der Farbe Blau in der Kunstgeschichte, nicht zuletzt im religiösen Kontext. Etwa die Wirkung der „göttlichen Farbe“ in der Gründungskirche der Gotik, in den Bogenfenstern von Chartres: „Noch nicht ganz im Himmel, nicht mehr ganz auf Erden“, wobei „das Unsichtbare und nicht Sagbare erlebbar“ werde.

„Das sichtbar werdende Unsichtbare“ ist denn auch der Yves Klein entlehnte Titel dieses von Micha Dengler konzipierten „Kunstprojektes“. Seine verblüffend schlichte Idee, die mit Holz verkleidete Wandfüllung zwischen den 24 Stützen der genialen, das Runddach ganz außen tragenden Raumsäulen mit monochromen, kobaltblauen Hartkartons gänzlich zu bedecken, ist von verblüffender Wirkung.

Eine Stadt steht Kopf

Wo sonst Holz alles ein wenig wuchtig einnimmt und stets an seine Funktion erinnert, ist das Material jetzt nurmehr in den Stützen sichtbar. Um so schlanker, elegant aufstrebend wirken nun die Stützen. Unvermittelt mag man sich nach Sainte-Chapelle zu Paris versetzt fühlen, dem Extremfall eines gotischen Kirchenbaus, wo die „Wände“ durch Licht und Farbe der Fenster wie aufgelöst und dematerialisiert wirken. Hochgeführt wird der Blick hier zu den Fensterfeldern, deren Rhythmik an die abstrakte Silhouette einer Großstadt gemahnt, was im starken Kontrast zum Blau nun umso deutlicher wird. Und mit ein wenig Imaginationskraft könnte man das Bild auch kippen: eine Stadt steht Kopf!

Entscheidend für die Wirkung der Verkleidung ist die absolut deckende, monochrome Bemalung der Farbträger mit dem einst von Yves Klein entwickelten, dunklen Stahl-Ultramarinblau, als IKB berühmt und patentiert. Die zusammengefügten 305 Platten, von Bürgern und Inhaftierten der JVA bemalt, erscheinen so als große, geschlossene Einheiten großflächiger monochromer Malerei. Die vielfache Bemalung beschert zudem eine samtige Textur von subtiler Tiefenwirkung – und dem Raum insgesamt eine Basis und einen ganz neuen Halt. „Wie der Bass einer Tuba soll das Blau im Raum stehen“, befand Micha Dengler. Ein absolut treffendes Bild! Denn das „Großgemälde“ versetzt Raum und Wahrnehmung wie ein monumentaler Tieftöner - und wie von alleine in eine sanft vibrierende Schwingung.

Dabei erlöst die betörende Reinheit dieses geheimnisvoll dunklen Blaus das Auge von jeder Suche nach Details und indiziert so eine Suchbewegung, die unwillkürlich in die Breite und in die Höhe geht. Eine Raum-Erkundung, die den Betrachter peu à peu in den eigenen Innenraum führt. Erfüllt von Stille und Weite, gespeist auch durch das variierende Wechselspiel mit Wolken, Licht und Himmel. Und wenn der Blick von rechts nach links wandert, stellt sich zudem ein Zusammenklang mit der zarten Welle ein, die dem leicht exzentrisch gesetzten Raum eigen ist. Es ist wie ein großer Atem, eine Öffnung und Loslösung in eine Freiheit, in der auch der spirituelle Gehalt dieser Raum-Verwandlung greifbar wird: „Das sichtbar werdende Unsichtbare“. Schwer vorstellbar, dass dies nur von begrenzter Dauer sein soll . . .