Die Kultusministerin hat versucht, den Kommunen die Gemeinschaftsschule nahezubringen. Die sind gegen einen "Schulversuch" ohne "Fahrplan".

Stuttgart - Die Gemeinden wollen Gewissheit über die Gemeinschaftsschule und sie bekamen Ernüchterung. 550 Bürgermeister und Schuldezernenten hörten in der Festhalle in Denkendorf (Kreis Esslingen) teilweise bass erstaunt, was ihre Kollegen aus Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein zu berichten hatten.

 

In den Ohren geklungen hat der Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD) wohl ein Satz von Jörg Bülow, dem Chef des schleswig-holsteinischen Gemeindetags. Er bilanzierte die Erfahrungen seiner Mitgliedsstädte mit der Umstellung auf Gemeinschaftsschule und Regionalschule schlicht so: "Die politischen Rahmenbedingungen sind nicht verlässlich", und schob unter dem Applaus der Zuhörer nach: "Die Interessen der Schulträger spielen für die Landespolitik keine Rolle."

Im hohen Norden gibt es seit 2007 Gemeinschaftsschulen, keine hat eine gymnasiale Oberstufe. Von den Schülern mit Gymnasialempfehlung besuchen weniger als zehn Prozent eine Gemeinschaftsschule. Für die Lehrer sei der Unterricht an einer Gemeinschaftsschule "eine erhebliche Herausforderung".

Starker Wettbewerb um die Schüler

An der Küste wurden Realschule und Hauptschule abgeschafft. Die Reform habe einen "erheblichen, scharfen Wettbewerb" unter den Gemeinden um Schüler nach sich gezogen, sagte Bülow. Die Anzahl der Schulen sei, wie aus finanziellen Gründen gewünscht, um 20 Prozent zurückgegangen. In Schleswig-Holstein muss eine Gemeinschaftsschule in den Klassen fünf bis zehn mindestens 300 Schüler aufweisen. Voraussetzung für die Einrichtung sind mindestens 60 Schüler in Klasse fünf.

Von noch größeren Dimensionen geht man im bevölkerungsstarken Nordrhein-Westfalen aus. Vier Parallelklassen sind gewünscht, drei notwendig. "Dann kann man es hier vergessen", raunte der Saal. Auch an Rhein und Ruhr hatten benachbarte Gemeinden erhebliche Bedenken gegen Gemeinschaftsschulen und befürchteten die Abwanderung von Schülern. Das sei bis zu Klagen gegangen, berichtet Matthias Menzel vom Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen.

Gemeinschaftsschulen heißen in NRW nun Sekundarschulen und haben keine gymnasiale Oberstufe. Kooperationen sind möglich. So können beispielsweise die Klassen fünf und sechs in einer Gemeinde unterrichtet werden, die Klassen sieben bis zehn in einer anderen. Auch sogenannte vertikale Lösungen sind möglich, dass also zwei Züge in einer und drei in einer zweiten Gemeinde geführt werden. Da schnaufen die schwäbischen Bürgermeister: "Das sind doch ganz andere Voraussetzungen." NRW sucht den Konsens bei der Einrichtung der neuen Schulform.

Hohe pädagogische Erwartungen an Gemeinschaftsschulen

Die Befragung der Eltern von Grundschülern ist ebenso Voraussetzung für einen Antrag wie die regionale Abstimmung. "Die Nachbargemeinden werden sehr früh einbezogen", sagte Menzel. Sein Land setzt auf ein moderiertes Verfahren. Bei Dissens zwischen den Kommunen entscheidet die Bezirksregierung. Unabdingbar für eine Änderung sei aber eine klare Konzeption, betonte Menzel.

"Eine solche Konzeption ist mir aus Baden-Württemberg bisher nicht bekannt." Den Bürgermeistern auch nicht. Roger Kehle, der Präsident des einladenden Gemeindetags hatte Fragen über Fragen an die Kultusministerin. Nach welchen Leistungsstandards wird unterrichtet, auf welcher Grundlage wird die Entscheidung für eine Gemeinschaftsschule getroffen und wie viele Schüler müssen sie aufweisen. Überhaupt findet Kehle, "die Kommunen sollen auf einen Zug aufspringen, zu dem der Fahrplan fehlt". Er machte klar: "Wir wollen nicht, dass unser Bundesland ein einziger Schulversuch wird."

Das will auch die Ministerin nicht. Bei ihrem Vortrag hob sie stark auf die pädagogischen Erwartungen an die Gemeinschaftsschule ab (sie soll eine andere Lernkultur voranbringen), blieb aber was die Rahmenbedingungen anging, im Ungefähren. Sie erklärte, dass die Gemeinschaftsschulen zwei Lehrer mehr bekommen sollen, dass gebundener Ganztagsunterricht eine Voraussetzung sei und sie könnte sich einen moderierten Prozess wie in Nordrhein-Westfalen vorstellen. Nach intensiven Nachfragen konkretisierte sie die Mindestgrößen: Gemeinschaftsschulen sollen in der Regel zweizügig sein, der Klassenteiler ist dann 28. Einzügige Schulen sind nur möglich, wenn 20 Schüler pro Jahrgang stabil erwartet werden können. Altersgemischte Klassen sollen 24 Schüler haben. Die Lehrer an Gemeinschaftsschulen müssen 25 Stunden pro Woche unterrichten.