Frau Keil, Sie sind nicht so früh von zu Hause weggegangen, oder?
Keil Wir mussten unsere Heimat verlassen, weil wir Vertriebene aus dem Sudetenland waren. Wir waren in Bad Kissingen im Lager, und da ich viel krank war, zum Beispiel Rachitis hatte, wurde Krankengymnastik empfohlen. Meine Mutter schickte mich stattdessen ins Ballett.
Aus der Heimat vertrieben und Ballett, das passt eigentlich nicht so zusammen.
Keil Wir waren sehr arm und hatten alles verloren. Als mir die Ballettlehrerin dieses kleine Kartönchen mit den Spitzenschuhen gab, war das mein Schatz. Ich bin auf Spitze durch die Wohnung gestakst und war dermaßen im Glück, das ist unbeschreiblich. Deshalb habe ich im Leben nie Angst gehabt, auf der Spitze zu stehen, und bin nie umgeknickt, obwohl ich so schmale Gelenke habe.
Wie ging Ihre Ausbildung weiter?
Keil Wir sind umgezogen nach Bad Cannstatt, und ich war im Unterricht bei einem russischen Ehepaar. Wenn ich bleich und abgeschafft von der Schule kam, haben sie mir immer erst ein großes Sandwich gegeben. Dieses Ehepaar hat meiner Mutter gesagt, dass sie mich ins Theater bringen muss. Also kam ich zu Anneliese Mörike, die ihre private Ballettschule im Theater hatte.
Amatriain Es gab noch keine staatliche Schule?
Keil Es gab nichts hier in Deutschland. Erst durch den damaligen Ballettdirektor Nicholas Beriozoff wurde die Schule am Theater staatlich. Wir bekamen Uniformen, weiße Tuniken, das sah nicht schlecht aus.
Frau Amatriain, hätten Sie Ihren Weg auch gemacht, wenn Sie nicht nach Stuttgart gekommen wären?
Amatriain Nein, ich glaube nicht.
Keil Ich glaube schon, du hättest deinen Weg gemacht, weil der Tanz den Menschen aussucht, nicht die Mutter.
Wussten Sie denn von Beginn an, dass Sie tanzen wollen?
Keil Ich habe nie beschlossen, dass ich Tänzerin werde, ich wollte nur tanzen. Das war meine Motivation.
Ist es heute schwer für Tänzer, Arbeit zu finden?
Amatriain Ja, es ist hart für einen Tänzer, Arbeit zu finden. Als Erstes wird immer beim Tanz gespart, die Anzahl Tänzer wird reduziert, oder ganze Kompanien werden abgeschafft. In Deutschland ist es eigentlich noch sehr gut. Aber in Spanien ist ein Desaster. Ich könnte gar nicht nach Hause zurück.
War die Konkurrenz früher auch schon so groß?
Keil Ich habe es nicht so empfunden. 1961 kam Cranko fest ans Haus, von ihm habe ich sofort einen Vollvertrag bekommen. Ich habe im Leben nie eine Audition gemacht. Das hast du auch nicht machen müssen, oder?
Amatriain Nein, ich bin nur einmal nach Hannover gegangen, um auszuprobieren, was ein Vortanz ist.