Der vom Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle forcierte Zusammenschluss des Gaseherstellers Linde mit dem US-Konkurrenten Praxair sorgt für viel Ärger. Es droht ein Showdown.

München - Gase gären manchmal und bilden dann ein explosives Gemisch. Diese Erfahrung macht im übertragenen Sinn gerade der Münchner Dax-Konzern Linde. Der global zweitgrößte Hersteller von Industriegasen will gegen den Widerstand von zwei Gewerkschaften, eigenem Personal sowie Politik mit dem US-Konkurrenten Praxair fusionieren und sorgt damit für Gärprozesse.

 

Eine Aufsichtsratssitzung hätte für Entspannung der Lage sorgen sollen. Das Gegenteil war der Fall. Von Anfang an sei die Stimmung gereizt gewesen, heißt es aus dem Umfeld des Gremiums. „Als während der Sitzung bekannt wurde, dass die IG Metall die Eignung von Wolfgang Reitzle als Linde-Aufsichtsratschef in Frage stellt, wurde es noch hitziger“, sagt ein Insider. Die Fronten hätten sich jetzt noch mehr verhärtet. Dem Traditionskonzern droht damit eine Zerreißprobe. Auf der einen Seite steht der 68-jährige Reitzle als treibende Kraft hinter der Fusion. Soeben hat er wissen lassen, dass er sie notfalls mit seinem Doppelstimmrecht als Aufsichtsratschef gegen den Willen der Belegschaft durchdrücken will. Auf der anderen Seite wächst die Front der Gegner. In sie reihen sich die beiden bei Linde aktiven Gewerkschaften IG Metall und IG BCE ein, der europäische und andere Linde-Betriebsräte sowie mittlerweile auch politische Parteien.

Warnung vor Fusion gegen die Widerstände der Arbeitnehmer

Sowohl Bayerns CSU-Wirtschaftsministerin Ilse Aigner als auch der SPD-Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Matthias Machnig warnen davor, eine Fusion gegen die Arbeitnehmer durchzuboxen. Schon ein erster Anlauf zur Firmenehe war vorigen Dezember an Widerständen gescheitert. Nicht einmal das eigene Management mag Reitzle bei seinem Brachialkurs folgen. „Nein, das wäre schlecht“, hat Linde-Chef Aldo Belloni auf die Frage geantwortet, ob der Konzern gegen den Willen des eigenen Personals fusionieren könne. Das ist insofern bemerkenswert, als Belloni als Vertrauter Reitzles gilt. Der umstrittene Linde-Oberaufseher hat ihn extra aus dem Ruhestand zurück an die Konzernspitze geholt, um beim zweiten Anlauf zur Fusion leichtes Spiel zu haben. Dem gescheiterten Fusionsversuch waren auch Vorstandschef Wolfgang Büchele und Finanzchef Georg Denoke zum Opfer gefallen.

Im Fusionsfall wird ein massiver Stellenabbau erwartet

Im Aufsichtsrat sind die Positionen beider Lager jetzt unversöhnlich aufeinandergeprallt. Gewerkschaften und die Belegschaft erwarten im Fusionsfall europaweit und auch hier zu Lande massiven Stellenabbau bei Linde. Stellen- und Standortgarantien, die bis 2021 laufen sollen, können sie nicht beruhigen. Nach einer Fusion würde es in einzelnen Ländern der EU zu einem erheblichen Verlust von Arbeitsplätzen kommen, fürchtet der europäische Linde-Betriebsrat und beruft sich dabei auf Gespräche mit dem Management. Der einzige, der im Fusionsfall auf einen sicheren Posten bauen könne, sei Reitzle selbst, der auch im fusionierten Konzern als Aufsichtsratschef gesetzt ist. Zudem würden kartellrechtliche Auflagen vor allem zu Lasten Lindes drohen, zusammengenommen ein „Kahlschlag, der den Markenkern von Linde zerstören wird“, schreiben die Betriebsräte. Das als Fusion unter Gleichen angekündigte Vorhaben gleiche einer Übernahme von Linde durch die kleinere Praxair, die auch die deutsche Mitbestimmung aushebeln würde. Überhaupt sei der Zusammenschluss unnötig, weil Linde auch gut allein klar komme.

Reitzle droht keine Verfahren wegen Insidergeschäften

Entkräften konnten die Aufseher der Kapitalseite diese Bedenken bislang nicht, sagen Fusionsgegner. Die Arbeitgeberbank nehme auch juristisches Drohpotential nicht ernst. Vor dem ersten Anlauf zur Fusion hatte Reitzle Linde-Aktien gekauft, weshalb die deutsche Finanzaufsicht Bafin gegen ihn seit Monaten wegen des Verdachts auf Insiderhandel ermittelte. Die Münchner Staatsanwaltschaft hat sich von der Bafin über den Sachstand aufklären lassen und prüfte, ob ein Anfangsverdacht gegen Reitzle vorliege. Am Freitag nun sagte Oberstaatsanwältin Hildegard Bäumler-Hösl in München: „Die derzeitige Verdachtslage reicht zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nicht aus“. Ein Verfahren wegen Insidergeschäften muss Reitzle nun also nicht fürchten

Europaweiter Aktionstag von IG Metall für den 27. April geplant

Unter günstigen Vorzeichen stehen die Fusionspläne also wahrlich nicht. Über sie entschieden werden soll Anfang Mai bei einer weiteren Linde-Aufsichtsratssitzung. Bis dahin ist Zeit, sich zusammenzuraufen. Die Hoffnung darauf ist gering. Die IG Metall hat für den 27. April wegen der Fusionspläne einen europaweiten Aktionstag an allen Linde-Standorten angekündigt, bei dem die Arbeit ruhen dürfte. Die Gewerkschaft hofft auf politische Schützenhilfe. In Reitzles Umfeld ist indessen von Fundamentalopposition der Fusionsgegner die Rede. Die wiederum sprechen von einer Fusion ohne Rücksicht auf Verluste. „Das steuert auf einen Showdown zu“, sagt eine dritte Partei. Letzteres klingt realistisch.