Raues Zeitungspapier statt vierlagiges Schmuseklopapier, Plumpsklo statt Klospülung, Latrinenwagen statt Kanalisation: Ein neues Buch erzählt eine recht anrüchige Geschichte, nämlich wie früher Stuttgarts Fäkalien entsorgt wurden.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Sie währt noch nicht lange, die luxuriöse Zeit, in der man auf der Toilette einfach auf einen Knopf drückt und sich ansonsten um seine Hinterlassenschaften nicht mehr kümmern muss. Viele noch gar nicht so alte Leser werden sich erinnern, dass man früher keine Wasserspülung hatte, sondern einen Deckel lupfte, den Atem anhielt, sein Geschäft verrichtete und statt vierlagigem Schmuseklopapier ziemlich raues Zeitungspapier verwendete, das man vorher extra handlich zugeschnitten hatte. Und ein- oder zweimal im Jahr kam ein Latrinenwagen und saugte die Fäkalien aus einer Grube am Haus mit einem dicken Schlauch ab. Das war eine ziemlich unappetitliche Angelegenheit.

 

Wer diese Vergangenheit kennt, kann eher zustimmen, wenn man sagt: Die heutige Form der Abwasserbeseitigung mit einem in Stuttgart 1700 Kilometer langen Kanalnetz, an das jedes Haus angeschlossen ist, und mit vier Kläranlagen ist tatsächlich eine große Errungenschaft der Menschheit, um die sich nur keiner Gedanken macht. Dabei hat das Problem pfundige Dimensionen: Mehr als hundert Millionen Kubikmeter Abwasser passieren jährlich die Stuttgarter Klärwerke.

Nobler Zustand

Wie sich Stuttgart über Jahrhunderte hinweg langsam an diesen noblen Zustand herangearbeitet hat, das kann man nun in einem Buch nachlesen, für das vor allem die Historikerin Caroline Gritschke verantwortlich zeichnet. Da das kommunale Abwasserunternehmen namens Stadtentwässerung Stuttgart nicht nur Gegenstand der Betrachtung, sondern selbst Herausgeberin ist, sind vielleicht nicht alle Konflikte und Niederlagen der letzten Jahrzehnte bis ins Detail beschrieben. Zum Beispiel hätte man gern mehr darüber gelesen, welche Giftbomben die Kläranlagen in den 1960er Jahren noch in den Neckar ließen.

Aber insgesamt ist es den Autoren gelungen, ein für den Laien sowohl gut verständliches als auch spannendes Buch zu schreiben. So lernt der Leser schnell, dass man wenig Anlass hat, über die Abwasserbeseitigung im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit die Nase zu rümpfen. Natürlich war es an heißen Sommertagen ein Problem, wenn alle Fäkalien in den Nesenbach und in den Großen Graben geleitet wurden – Stuttgart lag eben nicht wie Esslingen oder Karlsruhe an einem großen Fluss, über den sich alles entsorgen ließ; selbst Herzog Ludwig beschwerte sich im Jahr 1577 über „ain sollichen geschmackh vnnd gestanckh“ am Schloss.

Doch war die Entsorgung bei Weitem nicht so primitiv, wie man oft glaubt. Es gab Verordnungen, wo der Abfall zwischenzulagern war. Es gab Ableitungen und Dolen, um zumindest den Gestank zu unterdrücken. Und es gab ein funktionierendes Entsorgungskonzept: Die menschlichen und tierischen (in Stuttgart zählte man 1684 allein 1125 Schweine) Hinterlassenschaften wurden in den Weinbergen als Dünger eingesetzt. Erst 1954 wurde dies verboten.

Stuttgarter Latrinendünger

Den Schwerpunkt legt das Buch allerdings auf die letzten beiden Jahrhunderte. Wie gesagt: da erst wird deutlich, wie jung die scheinbar perfektionierte moderne Abwasserbeseitigung ist. Erst 1864 wurde begonnen, den Nesenbach zu überdolen. Erst 1873 wurde die Städtische Latrinenentleerungsanstalt gegründet, durch die alle Hausbesitzer ihre Gruben und Dolen entleeren lassen mussten. Das war übrigens ein lukratives Geschäft für die Stadt; der Stuttgarter Latrinendünger wurde per Eisenbahn bis Nagold gefahren. Erst um 1900 wurden in Stuttgart die ersten Wasserspülungen – die in England erfundenen Waterclosets – installiert. Erst 1915 nahm die Stadt das Hauptklärwerk in Mühlhausen in Angriff. Und erst um diese Zeit führte Stuttgart als eine der letzten Großstädte im Reich die sogenannte Schwemmkanalisation ein – mit Schmutz- und Regenwasser werden seither die Fäkalien auf ihre Reise zum Klärwerk geschickt. Die Hausabfuhr per „Schlauchartillerie“ blieb noch lange bestehen. 1957 waren von 54 000 Gebäuden in Stuttgart 10.000 noch nicht an die Kanalisation angebunden.

Was man aus dem Buch auch lernen kann, ist dies: Es gibt schon deshalb keinen Grund, auf die Menschen des Mittelalters herabzuschauen, weil unsere Abwasserbeseitigung tatsächlich noch lange nicht perfekt ist. So schaffen es die Kläranlagen weiterhin nicht, alle Medikamente, Hormone und Industriechemikalien aus dem Abwasser zu filtern, obwohl diese in geringsten Konzentrationen eine schädliche Wirkung haben – und obwohl an Flüssen manchmal nur wenige Hundert Meter hinter der Einleitung des gereinigten Abwassers wieder eine Entnahmestelle für Trinkwasser liegt.

Künftige Generationen werden da über uns die Nasen rümpfen.

Neuerscheinung: Stadtentwässerung Stuttgart (Hg.): „Ain heimlich Gemach. . .“. Fünf Jahrhunderte Abwasserbeseitigung in Stuttgart. Sutton Verlag, Erfurt 2012. 158 S., 18,95 Euro.