Die Kuratoriums-Chefin der Theodor-Heuss-Stiftung, Gesine Schwan, nimmt im StZ-Interview den Preisträger Daniel Cohn-Bendit in Schutz. Er soll am 20. April im Neuen Schloss in Stuttgart den Theodor-Heuss-Preis bekommen. Das findet nicht überall Beifall.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Stuttgart - Die Kuratoriums-Chefin der Theodor-Heuss-Stiftung, Gesine Schwan, nimmt den Preisträger Daniel Cohn-Bendit in Schutz. Er soll am 20. April im Neuen Schloss in Stuttgart den Theodor-Heuss-Preis bekommen. Das findet nicht überall Beifall.

 

Frau Professor Schwan, sind Sie erstaunt, dass die Vorwürfe gegen Daniel Cohn-Bendit im Vorfeld der Preisverleihung so hohe Wellen schlagen?
Diese heftigen Reaktionen haben wir tatsächlich nicht erwartet. Aber als dann erste Protestbriefe eintrafen, mussten wir uns darauf gefasst machen, dass die Wellen hoch schlagen würden.

Woher kam diese Ahnung?
Es war sehr schnell zu erkennen, aus welcher politischen Richtung die Attacken kamen und dass sie nur vordergründig auf das Geschehen in dem Frankfurter Kinderladen zielten. Es geht um Daniel Cohn-Bendit, als einen Vertreter der 68er-Generation, der nicht erwünscht ist.

Wie stehen Sie zu den Vorwürfen des Kindesmissbrauchs?
Ich glaube, dass sie nicht zutreffen. Sie stellen zum Teil auch richtig falsche Behauptungen auf. Wenn Kritiker zum Beispiel Daniel Cohn-Bendit vorwerfen, er habe sich niemals davon distanziert, dann ist das einfach Unsinn. Er hat sich distanziert, schon 2001, auch danach immer wieder und dann noch einmal, als die Diskussionen um die Preisverleihung losbrachen.

Daniel Cohn-Bendit hat eine sehr umstrittene Biografie – das gilt nicht nur für die umstrittenen Buchpassagen. Er hat einst aus seiner Sympathie für die Terroristen Gudrun Ensslin und Andreas Baader keinen Hehl gemacht. Seine Nominierung kann auch als Provokation verstanden werden.
Es kann schon sein, dass sich einige Menschen dadurch provoziert fühlen. Aber die ganze Auseinandersetzung mit den 68ern ist immer wieder ein Gegenstand politischer Polarisierung, deswegen dürfen wir sie aber nicht vermeiden. Ich selbst war in dieser Zeit ja eher kritisch eingestellt – auch gegenüber Cohn-Bendit und den Radikalisierungstendenzen in der Szene. Aber man muss auf der anderen Seite auch erkennen, dass wirklich tiefer gehende positive Veränderungen in einer Demokratie oft auf vorherige Provokation angewiesen sind, die zum Beispiel autoritäre antidemokratische Traditionen aufbrechen.

Was Cohn-Bendit in seinem Buch beschreibt, sind aber mehr als Provokationen.
Entscheidend aber ist, ob das, was Daniel Cohn-Bendit getan hat, so schlimm ist, dass das alle seine späteren Verdienste aufwiegt. Und da gebe ich die klare Antwort, das ist nicht so. Er kann diesen Preis bekommen. Was er provokativ erzählt hat, fand ja nicht wirklich statt. Seine „Tat“ liegt also in einer Provokation, die auch ich nicht akzeptiere. Sie war überdies leichtfertig. Daniel Cohn-Bendit hat erhebliche Fehler gemacht, aber er hat sich klar und selbstkritisch distanziert. Er ist überdies von den Eltern und den Kindern rehabilitiert worden. Wer ihn da noch weiter als Kinderschänder oder Pädophilen bezeichnet – da würde ich jetzt fast christlich sagen – der redet falsch Zeugnis wider seinen Nächsten. Das gehört sich nicht, das ist ehrverletzend. Es ist eine Frage der Liberalität, für die sich die Theodor-Heuss-Stiftung auch verantwortlich fühlt, ehrlich umzugehen mit Brüchen in der eigenen Biografie oder in der Gesellschaft und sie so zu behandeln, dass man fair ist gegenüber Menschen, die in einem bestimmten Kontext falsch gehandelt haben und dies auch öffentlich erklären. Mich hat es in diesem Sinne schon beeindruckt, mit welcher Selbstgerechtigkeit da viele urteilen.