Reportage: Frank Buchmeier (buc)
Klappt ein solcher kultureller Wandel von heute auf morgen?
Meistens nicht. Wenn in einem Unternehmen lauter deutsche Männer um die 50 das Sagen haben, die alle über dieselben Witze lachen, dann kann man davon ausgehen, dass die Innovationskraft nicht besonders hoch ist. Deshalb muss man mit der Durchmischung auf den Führungsebenen anfangen. Denn diejenigen, die sich nicht verändern wollen, sind häufig die altgedienten Manager.
Sie sind eine der wenigen Frauen, die es an die Spitze von großen Unternehmen gebracht haben. Wie erklären Sie sich Ihren Erfolg?
Man strahlt aus, ob man Karriere machen will oder nicht. Ich wurde oft angesprochen, ob ich den nächsten Schritt wagen wolle, und ich habe stets Ja gesagt. Die Unschlüssige wird nicht zur Chefin gemacht.
2009 haben Sie Hewlett-Packard verlassen und sind Geschäftsführerin von Unicef geworden – zu einem Zeitpunkt, als das Kinderhilfswerk in der schwersten Krise seit seiner Gründung steckte. Warum haben Sie sich diese Aufgabe zugemutet?
Aus Neugierde. Nach 25 Jahren bei HP wollte ich einfach noch mal etwas anderes machen, und es war mir klar, dass ich gerne im sozialen Bereich tätig wäre. Die anderthalb Jahre bei Unicef waren die beste Zeit in meinem Berufsleben, weil ich in einem recht gesetzten Alter noch mal einen anderen Blick auf die Welt entwickeln konnte.
Inwiefern?
Normalerweise nehmen wir die zwei, drei humanitären Katastrophen wahr, über die in den Medien berichtet wird. Als ich zum ersten Mal in New York in unserem Koordinationszentrum war, erfuhr ich, dass es Jahr für Jahr mehr als 250 Unicef-Einsatzgebiete gibt. Bei HP habe ich die Millionen hin und her geschoben, nun ging es um Kinderleben. Ich habe unmittelbar gespürt, was meine Arbeit bewirkt. Wenn man in Krisenländern unterwegs ist, macht man nachts kein Auge mehr zu, weil die Bilder des Tages einem nicht aus dem Kopf gehen. Ich habe tiefes Elend und unfassbare Armut gesehen. Die Reisen in die Entwicklungsländer haben mich verändert.
Warum sind Sie anschließend ausgerechnet zu einem Konzern wie Eon gewechselt?
Zu diesem Zeitpunkt hatte Unicef seine Krise überwunden, und ich hatte das Gefühl, dass ich noch einmal eine große Herausforderung annehmen sollte.
So reden auch Profifußballer, die den Verein wechseln und nicht zugeben wollen, dass es ihnen eigentlich nur ums Geld geht.
Ich war schon lange vor Eon finanziell unabhängig, besaß die innere Freiheit, das zu tun, was ich tun will. Zumal Luxus für mich nicht wichtig ist. Ich brauche keine Jacht, um glücklich zu sein. Ich wohne noch immer in demselben Haus in Herrenberg, das ich vor 30 Jahren gekauft habe.
Sie haben bei Eon 1,8 Millionen Euro im Jahr verdient. Was macht man als bescheidene Schwäbin mit so viel Geld?
Man legt es an, spendet etwas und gönnt sich natürlich auch manches. Beispielsweise reise ich leidenschaftlich gerne: Kürzlich war ich in Alaska, und im Oktober gehe ich nach Südafrika, Botsuana und Sambia.
Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima und dem darauf folgenden Atomausstieg mussten Sie als Personalvorstand des Energieversorgers Eon 11 000 Stellen abbauen. Plagten Sie Gewissensbisse?
In der damaligen Situation gab es keine Alternative zu einem radikalen Umbruch. Es ist hart, wenn man sich von so vielen Mitarbeitern trennen muss, und natürlich hat mich das belastet. Erschwerend kam hinzu, dass zu diesem Zeitpunkt klar wurde, dass mein Mann an einer lebensgefährlichen Lungenkrankheit leidet. Wenn ich heute zurückblicke, frage ich mich, wie ich das alles gestemmt habe. Vermutlich funktioniert man, wenn man funktionieren muss.
2013 haben Sie den Vorstandsposten bei Eon aufgegeben und sind von Düsseldorf nach Herrenberg zurückgekehrt, um Ihren Mann zu pflegen. Wie kam es zu dem Entschluss?
Die Jahre zuvor musste ich einen Balanceakt zwischen zwei wichtigen Verpflichtungen vollführen. Einmal saß ich in Berlin auf einer Pressekonferenz, als ich die Nachricht erhielt, dass mein Mann auf die Intensivstation gebracht worden sei. Ich bin so schnell wie möglich vom Podium runter und mit der nächsten Maschine nach Stuttgart geflogen. Als die Ärzte ein paar Monate später sagten, dass die Zeit, die meinem Mann bleibt, vermutlich begrenzt sein würde, war mir klar, wo meine Priorität liegen muss. Obwohl mich Willi stets ermutigt hatte, meinen Beruf auszuüben, habe ich gemerkt, dass es für ihn eine Erleichterung war, als er mich sieben Tage in der Woche bei sich hatte. Mein Mann ist auch zu Hause gestorben, das war sein großer Wunsch.