Zuerst gehen die Ärzte, dann die Apotheker: Auf dem Land geht man deshalb neue Wege bei der Versorgung mit Medikamenten.

Berlin - In Deutschland gibt es mancherorts Ärztemangel; das ist seit einiger Zeit bekannt. Und bekannt ist auch, dass in der Alten- und Krankenpflege viele offene Stellen unbesetzt bleiben. Überraschend dürfte für die meisten jedoch die Gefahr sein, die nun Heinz-Günter Wolf, der Chef der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (Abda), beschrieben hat: Es gebe einen Rückgang an Apotheken, der auf Dauer zu Lasten der wohnortnahen Versorgung im ländlichen Raum gehen könne.

 

Seine Aussage stützt Wolf auf neue Zahlen der Abda. Sie belegen, dass im ersten Halbjahr 2012 Woche für Woche sechs Apotheken den Geschäftsbetrieb eingestellt haben. Ende Juni gab es in Deutschland 21 080 Apotheken und damit 522 weniger als im Jahr 2008. „Viele Apotheken“, so Wolf, „kämpfen ums Überleben.“ Deshalb bekräftigt Wolf seine Kritik, dass die von Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) vorgesehene Erhöhung des sogenannten Zuschlags um 25 Cent auf 8,35 Euro unzureichend sei. Diesen Zuschlag bekommen die Apotheker, wenn sie ein verschreibungspflichtiges Medikament abgeben.

Großes Gefälle zwischen Stadt und Land

Ob den Apotheken, die „ums Überleben kämpfen“, geholfen ist, wenn alle Apotheken (also auch die mit großen Umsätzen) mehr Geld bekommen, sei dahingestellt. Dass es ein Gefälle zwischen Stadt und Land gibt, ist allerdings richtig. Zwar kann die Abda das Gefälle nicht mit genauen Zahlen belegen. Doch verdeutlichen auch allgemeine Hinweise das Problem. Im Stadtstaat Bremen mit seinen rund 660 000 Einwohnern gibt es 163 Apotheken, während das große Flächenland Mecklenburg-Vorpommern, das 1,6 Millionen Einwohner hat, auf 407 kommt. Das heißt: Nach wie vor gibt es in Deutschland viele Apotheken. Doch während sie sich in den Innenstadtlagen der Großstädte ballen, dünnt die Versorgung auf dem Land aus.

Im europäischen Vergleich liegt Deutschland im Mittelfeld. EU-weit kommen statistisch auf eine Apotheke rund 3300 Einwohner, in Deutschland sind es durchschnittlich 3800 Einwohner. Die größte Apothekerdichte weist Griechenland mit 1200 Einwohnern je Apotheke auf. In Österreich kommen 6600 Einwohner auf eine Apotheke, in Dänemark sogar 17 700 Einwohner. Diese Zahlen haben auch damit zu tun, dass in anderen Ländern nicht nur örtliche Apotheken Medikamente abgeben dürfen.

Nun sind weite Wege für viele Bürger im Nordosten nichts Neues. Was Lebensmittel anbelangt, sind dort inzwischen Tante-Emma-Busse unterwegs, die die Bürger in abgelegenen Dörfern mit Waren versorgen. Einen Apothekenbus erlaubt die Betriebsordnung für Apotheken aber nicht.

Im Notfall lange Wege

Sehr wohl möglich ist hingegen ein Modell, das in einigen ländlichen Gebieten der Republik schon mit Erfolg praktiziert wird. Apotheken richten in den Dörfern Briefkästen ein, in die der Patient sein Rezept oder seine Bestellung einwirft. Der Kasten wird von der Apotheke geleert, die dann die benötigten Medikamente an der Haustür des Patienten abliefert. „Das Angebot wird sehr gut angenommen“, sagt Apotheker Holger Meyer, der in der Ortschaft Brietlingen im Landkreis Lüneburg eine solche Rezept-Sammelstelle betreibt.

Die Sammelstellen tragen also dazu bei, die wohnortnahe Versorgung zu sichern, die Wolf in Gefahr sieht. Und dabei spielt auch das Internet eine Rolle. Viele chronisch Kranke, die regelmäßig Medikamente brauchen, bestellen sie online. Für viele Ältere ist das aber keine Alternative, weil für sie der Umgang mit dem Computer nicht selbstverständlich ist. Und abseits von Sammelstellen und Online-Versand bringt die geringe Apothekendichte im ländlichen Raum fraglos einen gravierenden Nachteil für Kranke mit sich: Brauchen sie im Notfall rasch ein Medikament, haben sie lange Wege bis zur nächsten Apotheke.