Die Idee soll unsere Gesellschaft verändern: Via Internet wird in eine Spendenkasse eingezahlt, und wenn 12 000 Euro zusammen sind, ein Grundeinkommen verlost. 1000 Euro monatlich, ein Jahr lang. Zwei Gewinner erzählen.

Biberach - Olga Zimmer aus Mittelbiberach erfährt auf dem Heimweg von dem Projekt, das ihr Leben verändern soll. Um den Radiobericht zu Ende hören zu können, fährt die 46-Jährige rechts ran. Zu Hause sprudelt es dann nur so aus ihr heraus. Ihr Mann lässt sich nicht anstecken, aber sie sitzt schon am Computer, um sich sowie ihre Kinder, den achtjährigen Robin und die zehnjährige Carla, zur Verlosung des sogenannten bedingungslosen Grundeinkommens anzumelden. Es handelt sich um ein Projekt eines Berliner Jungunternehmers, der diese Idee der existenziellen Grundsicherung mit Hilfe von Crowdfunding ausprobieren möchte.

 

Als das Los tatsächlich Robin trifft, weiß Olga Zimmer zunächst nicht, ob sie ihm das überhaupt erzählen soll: Jeden Monat 1000 Euro, ein Jahr lang. Als sie es doch tut, fragt er: „Mama, sind wir jetzt reich?“ Das war im August 2014 und Robin einer der Ersten, die das große Los gezogen haben. Heute ist er eine Art Aushängeschild des Projekts.

Bescheidene Wünsche

Was wünscht sich ein Kind, wenn es weiß, dass es viel Geld gewonnen hat? Den Betrag kann Robin freilich nicht wirklich einordnen, seine Wünsche sind bescheiden. Jede Woche ein neues Buch, das fände er toll. Die Zimmers erfüllen ihm diesen Wunsch. Und fassen außerdem den Entschluss, von nun an öfter mal einen Familientag einzulegen, um aus der wenigen Zeit, die im Alltag bleibt, mehr herauszuholen. In den folgenden Monaten besuchen sie den Playmobilpark, fahren zur Bärenhöhle, machen einen Ausflug ins Technikmuseum Sinsheim.

Im Beruf steckt Olga Zimmer nicht zurück. Dabei hätte sie allen Grund dazu: Neben ihrer Arbeit als Krankenschwester hat sie die Pflege ihrer Mutter übernommen. Nicht zu vergessen die Kinder: „Sie sind in einem schwierigen Alter, ich hoffe, das legt sich bald.“ Die Zimmers nutzen das Geld, um mit kleinen Dingen das Leben angenehmer zu machen, und stecken den Rest in die Tilgung des Hauskredits. „Wir haben weder Geld angehäuft noch verpulvert“, sagt Olga Zimmer über das vergangene Jahr. „Ich habe versucht, das Geld als Geschenk zu sehen und so damit umzugehen, als würden wir tatsächlich ein Grundeinkommen beziehen.“

Der Gewinn war eine große Bereicherung

Als sie vor 20 Jahren aus Sibirien nach Deutschland gekommen sei, habe sich alles um die Arbeit gedreht, sagt Olga Zimmer. Erst allmählich fand sie ins gesellschaftliche Leben. Mit Politik beschäftigte sie sich nie so recht. Das hat sich mit Robins Gewinn verändert: Das bedingungslose Grundeinkommen ist ihr neues Lieblingsthema, sie blüht regelrecht auf, wenn sie davon spricht. „Ich bin keine Expertin, aber in meinem Bekanntenkreis habe ich sehr interessante Diskussionen geführt, seit ich gewonnen habe.“ Sie dreht weiter ihre Runden im „Hamsterrad“, wie sie sagt. Doch der Gewinn sei eine große Bereicherung gewesen: „Früher habe ich quasi nur auf den Teller vor mir geschaut, die Tage abgearbeitet. Jetzt bin ich viel offener und habe das Gefühl, den Menschen mehr geben zu können.“ Und auch bei dem Gewinnerkind ist die Botschaft angekommen. Seine Mutter staunte nicht schlecht, als Robin ihr sagte: „Mama, du und Papa seid irgendwie besser drauf in letzter Zeit.“

Der Kopf hinter der Idee des verlosten Grundeinkommens ist ein junger Mann, der Idealist genug ist, unser Gesellschaftssystem umkrempeln zu wollen, und Realist genug, das Konzept Grundeinkommen zunächst in Frage zu stellen. Michael Bohmeyer, 30, hat große Zweifel, als er sich zum ersten Mal mit dem Thema Grundeinkommen befasst. Ein gutes Konzept, das aber an der Finanzierbarkeit scheitert, denkt er. Im Internet kennt sich der Berliner Jungunternehmer bestens aus. Schon als Jugendlicher hat er diverse Programme geschrieben, er leitete auch schon einen Versandhandel für Metallschilder. Michael Bohmeyer trifft sich mit Befürwortern des Gedankens und fängt Feuer. Crowdfunding, das Geldeinholen im Kollektiv, hebt den Gedanken der Solidarität in das Internetzeitalter. Welches Projekt könnte sich darüber besser finanzieren lassen als eines, das unsere Gesellschaft neu denkt?

Interview im Frühstücksfernsehen

Im Sommer 2014 geht Bohmeyers Mein-Grundeinkommen.de online. Die „taz“ berichtet darüber, es folgt ein Interview beim Frühstücksfernsehen. Binnen 80 Tagen kommen 50 000 Euro zusammen. Bis heute haben sich mehr als 200 000 Nutzer registriert und 34 000 Spender beteiligt, 25 Grundeinkommen sind verlost worden. Auch wer nicht spendet, kann mitmachen.

Was sie im Falle eines Gewinns mit dem Geld anstellen würden, geben viele Nutzer auf ihrem Profil preis – freiwillig. Keiner ist den Spendern Rechenschaft schuldig. Wen das Los trifft, den fragt Bohmeyers Team, ob er in den Medien darüber berichten will. Manche lehnen auch ab.

Sonja Dohm hat seit Dezember einen monatlichen Bonus

Sonja Dohm zögert zunächst, als die ersten Interviewanfragen ins Haus kommen. Auch die 26-jährige Mediengestalterin aus Kusterdingen bei Tübingen hat im Internet ein Grundeinkommen gewonnen. „Am Anfang habe ich schon darauf geachtet, wem ich davon erzähle. Doch bisher haben sich ausnahmslos alle mit mir gefreut.“ Sonja Dohm hält ihre dreijährige Tochter Lilli auf dem Arm und erzählt von ihrem besonderen Tag. Sie hat ihn im Kalender vermerkt. Ein „komisches Gefühl“ habe sie damals schon auf dem Weg zur Arbeit beschlichen. Als sie dann von dem Gewinn hört, lässt sie das Ganze von ihrem Cousin gegenprüfen. „Ja, da steht dein Name“, versichert er. Zwölf Monate, je 1000 Euro.

Viel Geld für eine junge Familie. Seit Dezember darf sich Sonja Dohm am Ersten jedes Monats über den Bonus freuen. Auch sie geht es vernünftig an: Von den ersten Gutschriften hat sie Möbel für Lillis Zimmer gekauft und eine Riesterrente abgeschlossen. Mit den 10 000 Euro, die folgen, will sie ähnlich besonnen verfahren. Nach der Geburt ihrer Tochter hatte sich Sonja Dohm ein Jahr Zeit gelassen, fand danach nicht direkt zurück ins Berufsleben. Es folgte eine Reihe von Absagen, Vorschlägen für fachfremde Berufe, Sanktionierungen durch das Arbeitsamt. Über eine befristete Stelle fand sie endlich zurück in den Arbeitsalltag. Ein flächendeckendes Grundeinkommen könne viel Druck rausnehmen, findet Dohm: „Eine Lücke im Lebenslauf zu haben, kommt heute dem Scheitern gleich. Ich glaube, dass manche ihre berufliche Karriere anders angehen würden, hätten sie die Sicherheit eines Grundeinkommens im Rücken.“

Gelassener durch den Alltag gehen

Dohm geht heute gelassener durch den Alltag: „Die Summe ist nicht hoch genug, um sich ein schönes Leben zu machen. Sie gibt einem vor allem Sicherheit und setzt Kräfte frei.“ Bei der Anmeldung hatte sie noch Luftschlösser gebaut: „Mal eine Weile nichts tun, das war einer der ersten Gedanken. Aber wenn man das Geld dann hat, überwiegt die Freude, zur Arbeit zu gehen.“

Über die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens wird weltweit diskutiert. Die meisten Konzepte sehen eine Zuwendung für jedermann vor. Im Gegenzug würden staatliche Leistungen wie Arbeitslosengeld, Sozialhilfe oder Kindergeld wegfallen. Zu den in Deutschland diskutierten Modellen gehören das Solidarische Bürgergeld sowie das Ulmer Modell. Bohmeyers Projekt könnte ein Feldversuch sein, der in Erfahrung bringt, was ein solches Grundeinkommen mit Menschen macht.

Der Siegeszug der Faulheit?

Manche prophezeien den Siegeszug der Faulheit, einen Rückgang der Arbeitsmoral. Befürworter des Grundeinkommens verweisen gerne auf das Phänomen des Ehrenamts. Mehr als jeder dritte Deutsche engagiert sich in Vereinen, Verbänden, Institutionen. Dann wären da noch die Aufstocker, die für so wenig Geld arbeiten gehen, dass sie zusätzlich Leistungen des Staates in Anspruch nehmen müssen.

In Michael Bohmeyers Lotterie ist nur ein Gewinner bekannt, der seinen Beruf aufgegeben hat – um Pädagogik zu studieren. Ähnliche, von Wissenschaftlern begleitete Projekte kommen zum selben Schluss: Die Arbeitsbereitschaft beeinträchtigt der Bonusbetrag nicht, vielmehr wachse das Selbstwertgefühl. In den Niederlanden haben Forscher Menschen befragt, die eine Lebensrente beziehen und sich über je 1000 Euro mehr im Monat freuen. Ein Fazit: von 84 Befragten gaben nur zwei ihren Job auf. Kann die Entkopplung von Arbeit und Existenzsicherung also funktionieren?

Einige bekannte Namen hat Bohmeyer auf seiner Seite: Götz Werner, der Gründer der Drogeriemarktkette DM und einer der reichsten Deutschen, spricht sich seit den 80er Jahren für ein Grundeinkommen aus. Er rief die Initiative „Unternimm die Zukunft“ ins Leben. Dieter Althaus, der ehemalige Ministerpräsident von Thüringen, veröffentlichte ein Buch zu dem Thema. Und die Piraten schrieben es sich 2010 als erste deutsche Partei auf die Fahne – wohingegen Die Linke sich das Vorhaben „unter den gegebenen Machtverhältnissen“ nicht zu eigen machen will, wenngleich es einzelne Mitglieder unterstützen. In der Schweiz führte eine Volksinitiative dazu, dass in diesem Jahr über die Einführung des Grundeinkommens abgestimmt wird. In Finnland laufen Voruntersuchungen im Auftrag der Regierung.

Ökonomen sehen die Idee kritisch

Die meisten Ökonomen stehen der Idee kritisch gegenüber, weil sie ein schlüssiges Finanzierungskonzept vermissen. Beim bedingungslosen Grundeinkommen hat man es mit einer großen Unbekannten zu tun, die sich mathematisch nicht fassen lässt. Wie es die Gesellschaft verändert, würde sich ja erst auf lange Sicht zeigen.

Sonja Dohm und Olga Zimmer sind sich einig, dass sie nun anderen den Vortritt lassen. Sie nehmen nicht mehr an den Verlosungen teil. Beide unterstützen das Projekt als „Crowdhörnchen“, so heißen die Spender.