Lokales: Hans Jörg Wangner (hwe)

Mit dem Tod der Ehefrau beginnt das Martyrium der Tochter. Von einem Tag auf den anderen werden ihr Mutter und Vater entrissen. Sie kommt bei Onkel und Tante unter, einem selbstgerechten Arztehepaar, das seinem Pflegling die eigene Kinderlosigkeit zum stillen Vorwurf macht. Das Stiefkind nennt sie nur „die beiden Ärsche“. Spätestens als 16-Jährige kommt das Mädchen bedrohlich nahe an die schiefe Bahn. Sein einziger Lichtblick ist ein anonymer Chatpartner, hinter dem sich kein anderer als der Vater verbirgt.

 

Was sich nach Schmonzette oder Kolportage anhören mag, ist in Wirklichkeit die glaubwürdige Beschreibung menschlicher Unzulänglichkeiten. Von Rührseligkeit keine Spur. Dafür die Gewissheit, dass mancher schöne Schein trügerischer, manche bürgerliche Daseinskonstruktion brüchiger und manche Biografie gefährdeter ist, als man das vielleicht wahrhaben möchte.

Giampaolo Simi ist kein Zyniker. Er wertet nicht, er schildert genau. Und er begegnet seinen Figuren – auch den am Rande stehenden – mit kritischer Empathie. Das macht seinen Roman so herausragend.

Giampaolo Simi: „Vater. Mörder. Kind.“ Roman. Aus dem Italienischen von Anja Nattefort. C. Bertelsmann, München. 304 Seiten, 19,99 Euro. Auch als E-Book, 15,99 Euro.