Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Wenn man ihn auf die Darstellung seines Berufs in den Medien fragt, erklärt er gern und schon ein bisschen genervt, dass in gerichtsmedizinischen Instituten beim Sezieren weder Rotwein getrunken wird noch Butterbrote gegessen werden. „Wir sind auch nicht so gut ausgestattet und sind auch nicht die, die alles rausbekommen, mit den besten Laboren und den neusten Methoden.“ Von der gesellschaftlichen Akzeptanz eines Dr. Boerne können Püschel und sein Berufsstand nur träumen. Die Wirklichkeit ist nicht telegen und muss deshalb aufgehübscht und überzogen dargestellt werden. Die Beschäftigung mit Gewalt und Tod, davon ist Püschel überzeugt, beschränke sich auf den allsonntäglichen „Tatort“. Der entfalte dann seine kathartische – also reinigende – Wirkung. Und dann sei es aber auch gut für den Rest der Woche. Das alles sei allerdings zwar ärgerlich, aber nicht weiter bedrohlich. Die viel dramatischere Folge der Institutsausdünnung benennt Klaus Püschel mit wesentlich deutlicheren Worten: „Das geht auf Kosten der Rechtssicherheit.“ Nüchtern schiebt er eine banale Feststellung in Form einer Frage nach, die es in sich hat. „Was ist schon bedeutender als die Todesdiagnose?“, fragt der Hanseat bewusst provokant. Wahrscheinlich, mutmaßt der Mann, der selbst Gewebe- und Organspender ist und stets einen Zettel bei sich trägt, der ihn als Menschen ausweist, der seinen Körper für wissenschaftliche Zwecke zur Verfügung stellen will, leben wir in einer vergleichsweise zu friedlichen Welt. Den Gedanken, dass Tod und Gewalt aufgeklärt werden müssen, kann man so bequem aus dem Denken verbannen.

 

Die Opfer haben keine Lobby

„Das ist eine ziemliche Katastrophe für die Opfer“, sagt auch Elisabeth Türk mit Blick auf die Einschränkung der Arbeitsmöglichkeiten für Rechtsmediziner. Aber die Opfer, sagt die Hamburger Ärztin, hätten halt keine Lobby. Die Leidtragenden der Sparpolitik, das sind die Toten, aber auch Gewaltopfer wie misshandelte Frauen, missbrauchte Kinder und Gefolterte. Sie protestieren nicht gegen den Abbau der Institutionen, die dafür da sind, an ihrem Körper rechtsfeste Beweise zu sichern, um Täter überführen oder überhaupt erst die wahre Identität beispielsweise der anonymen Opfer einer Naturkatastrophe feststellen zu können. Elisabeth Türk hat mehr als zehn Jahre als Rechtsmedizinerin in Hamburg, Großbritannien und dem Saarland gearbeitet. Sie kennt die langen Wege von Instituten zu Tatorten, die wegen der Ausdünnung für ihre Berufskollegen zum Arbeitsalltag gehören. Vom Hamburger Institut werden auch Fälle in Niedersachsen, beispielsweise in Bremerhaven, versorgt. Das bedeutet einfach bis zu zwei Stunden Anreise – und zurück noch einmal die gleiche Zeit. Der Verdacht liegt nahe, dass der Weg des anreisenden Rechtsmediziners oder die Distanz zum nächsten Obduktionsort Einfluss darauf hat, ob die Ermittler sich im Zweifelsfall für oder gegen eine gerichtsmedizinische Untersuchung entscheiden. Zeit und Wege kosten Geld.

Seit 2011 ist Türk wieder in einer Klinik bei Hamburg als Kardiologin tätig. Der Rechtsmedizin hat sie jedoch nicht endgültig den Rücken gekehrt. In einer interdisziplinären Arbeitsgruppe wird sie weiter mit ihrem ehemaligen Institutschef Klaus Püschel zusammenarbeiten. Auch im Klinikalltag hilft ihr die Zeit in der Rechtsmedizin. Schließlich geht es da immer auch um rechtsmedizinische Fragen wie die des Patientenrechts. Türk kommt eine lange Erfahrung auf diesem Arbeitsfeld zugute, die Medizinstudenten zunehmend vorenthalten wird. Denn wer vom Ende des Lebens her denkt, handelt bei der Vermeidung von Fehlern anders. Da ist Türk ganz bei Püschel, der sagt: „Nichts ist lebendiger als die Gerichtsmedizin. Dort lernen wir von den Toten für die Lebenden.“