Ob Betriebssystem oder soziales Netzwerk – die Programme versuchen, immer freundlicher zu werden. Peter Glaser hofft, dass nach der künstlichen Intelligenz einen nicht nur künstliche Freundlichkeit kommt.

Stuttgart - Die Data Center voller rauschender Server tun so, als würde sich augenblicklich jemand für mich interessieren, wenn ich mich auf Facebook einlogge. Erwäge ich zögerlich, mich wieder davonzumachen, erscheinen wie zufällig diese auf den Bildschirm gehauchten Kästchen, die vermerken, dass gerade jemand einen Beitrag von mir kommentiert oder mit „Gefällt mir“ markiert hat. Kybernetische Küsschen werden mir zugeworfen.

 

Die Benachrichtigungen hat der Facebook-Algorithmus sich natürlich aufgehoben, um sie mir zur passenden Gelegenheit als Lockstoff hinzustreuen. Das ist Kommunikationskonfetti, das wortlos sagt: Bleib doch noch ein bisschen. Facebook benimmt sich wie eine Animierdame – ein höfliches Wort, das kaltes, kommerzielles Ködern umschreibt. Höflichkeit ist eine gesellschaftlich erwünschte Form der Lüge.

Mitleidige Höflichkeit

Ich bin Österreicher und weiß, wovon ich rede. Die Überreste des k. u. k. spanischen Hofzeremoniells, die als sogenannte österreichische Höflichkeit firmieren, haben die digitale Welt zwar erst rudimentär erreicht, aber die Algorithmen bemühen sich. Ich mag es auch, dass mich das Betriebssystem meines Rechners siezt. Ich bin kein Freund der verordneten Ikea-Kumpanei; dasselbe gilt für Facebook. Ist man mit einem System wie Facebook konfrontiert, so ist die angemessene Reaktion darauf eine mitleidige Höflichkeit.

Denn solche Systeme sind unbeholfen, beschränkt und ein wenig dämlich. Sie lösen deshalb im Menschen eine Mischung aus Beschützerinstinkt und Niedlichkeitsreflex aus. Auch wenn uns feierlich Einblick gewährt wird in die hochgeheimen, hochverfügbaren, coolnessgekühlten Datenkraftwerke, die nun die Atomkraftwerke und Einkaufszentren auf der grünen Wiese ablösen: Die Algorithmen tun gerade mal so, als ob. Mit einer solchen Botschaft aber wäre die Marketingabteilung sehr unglücklich. Also sollen wir teilnehmen an einer atemberaubenden digitalen Weltenwende.

Die anfängliche emotionale Reaktion verblasst

Ist man länger in solchen Systemen unterwegs, verblasst die anfängliche emotionale Reaktion. Ein herumtapsender Algorithmus ist kein Kleinkind und kein Tierbaby. Die Maschinenhöflichkeit, so nett man sie finden mag, führt zu einer gewissenlosen Ignoranz. Warum sollte man einer Maschine gegenüber Skrupel haben, auch wenn man ihren endlosen, übermenschlichen Langmut bewundert, mit dem sie immer denselben Fehler, dieselbe Eigenheit unerschütterlich gelassen quittiert? Nachts liegt mein Smartphone im Bett – so weit ist es schon gekommen.

Schon zuvor hatte ich es wie ein Kängurujunges in der Hemdtasche herumgetragen. Nun leuchtet manchmal das Display – durch eine Berührung oder ein Signal aus der Ferne – unter der Bettwäsche wie eine Leuchtqualle auf, die man in einem dämmrigen Meer berührt. In dem dunklen Flur scheint es bläulichhell an der Wand. Kurz darauf versinkt das dezente Licht wieder in dem Gerät, und ich erinnere mich an eine Zeitungsmeldung, in der von Ärzten berichtet wurde, die im Dschungel im Schein von Smartphone-Displays operierten.

Nachts scheint das Smartphone mit mir einzuschlafen. Es tut jedenfalls so, als ob. Es wird dunkel und still, und erst wenn ich aufwache oder manchmal, wenn ich schlaflos bin, gibt es mir zu verstehen, dass es das bemerkt hat und versorgt mich wieder mit dem lakonischen Geräusch neu eintreffender Nachrichten. Es fragt nicht, um mich nicht zu stören, und bringt nur diese neuartige, flüssige Form von Zeitung vorbei, mit der ein herkömmlicher Butler – auch der beste – ernsthafte Probleme hätte.