Ein neuer Bodenatlas zur Nordpolarregion zeigt die Veränderungen durch Verlust des ewigen Eises auf.

Ispra - Ein von der Forschungsstelle der Europäischen Union im italienischen Ispra (JRC) verfasster Bodenatlas für die Nordpolarregion stellt die globale Klimaforschung vom Kopf auf die Füße: Nicht aus der Atmosphäre und den tropischen Regenwäldern droht die größte Gefahr für einen globalen Klimawandel. Die Böden stellen den mit Abstand größten Kohlenstoffspeicher auf der Erde dar.

Diesen Befund liefern fünfzig Wissenschaftler aus der EU und Forscher aus den Vereinigten Staaten, Kanada, Russland, Island und Grönland mit dem ersten Bodenatlas der nördlichen Polarregion. Diese Region, die den Arktischen Ozean und die nördlichsten Regionen Kanadas, Nordamerikas, Russlands sowie Islands und Skandinaviens bis zum 50. Breitengrad umfasst, stellt einen deutlich größeren Kohlenstoffspeicher dar als bisher angenommen.

Mit einer Fläche von mehr als 15 Millionen Quadratkilometern repräsentiert sie zwar nur 16 Prozent der Erdoberfläche, speichert aber mehr als die Hälfte des globalen Kohlenstoffes. Nach Berechnungen der Wissenschaftlern stellt das ewige Eis der Permafrostböden mit 1700 Gigatonnen den weltweit größten Speicher für organischen Kohlenstoff dar.

"Alle Tropenwälder der Erde zusammen erbringen nicht den Anteil von Kohlenstoffsenken wie die bedrohten Permafrostböden", erklärt Luca Montanrella vom Institut für Umwelt und Nachhaltigkeit am Lago Maggiore die Bedeutung dieser sensiblen Arktisregion. Die Klimaschutzdiskussion sei bisher zu einseitig auf die Atmosphärenforschung und die Regenwälder konzentriert gewesen, sagt der Leiter der 25-köpfigen Wissenschaftlergruppe für Bodenforschung. "Nach der erfolglosen UN-Klimakonferenz von Kopenhagen muss die Klimaforschung stärker als bisher das Thema Böden in den Blickpunkt nehmen", so Montanrella.

Treibhausgase kommen vor allem aus dem Boden


Klimaforscher aus aller Welt sind sich einig, dass ein anhaltendes Abschmelzen der Polarkappen zu verheerenden Veränderungen für Natur und Klima führen können. "Die Bedeutung der Permafrostböden im nördlichen Polargebiet als Kohlenstoffsenke ist bisher völlig unterschätzt worden", meint Gabriele Broll vom geografischen Institut der Universität Osnabrück. Sie ist als einzige deutsche Wissenschaftlerin an der Erarbeitung des neuen Bodenatlas beteiligt gewesen.

Zum ersten Mal sei es gelungen, eine weltweite Bodenklassifikation für diese Region zu erstellen. Diese bisher nicht da gewesene Bestandsaufnahme sei geeignet, die globale Klimaschutzdiskussion völlig neu zu fokussieren: "Bisher hat die Politik vor allem auf die Atmosphäre gestarrt."

Treibhausgase kommen aber vor allem auch aus dem Boden. Im globalen Kohlenstoffkreislauf könnten Böden sowohl als Kohlenstoffsenke dienen als auch eine Quelle für ausströmendes CO2 darstellen. Als Präsidentin des Bundesverbandes Boden macht sich die Wissenschaftlerin für die Verabschiedung der seit Jahren vor allem von Deutschland blockierten Europäischen Bodenrahmen-Richtlinie stark. Osnabrück gilt als führend in dieser Richtung mit seinem Studiengang Bodenschutz und dem einzigen Bodenmuseum mit lebenden Tieren in Deutschland.

Mit der Gründung der europäischen Bodensensibilisierungs-plattform ENSA will die junge Osnabrücker Forscherin auch im Hinblick auf die anstehende UN-Klimakonferenz im mexikanischen Cancún mehr Bewusstsein für das Zusammenspiel von Böden und Klimaschutz schaffen. Der jetzt vorgelegte großformatige Bodenatlas mit faszinierenden Fotos, Karten und Satellitenaufnahmen soll bald auch in deutscher Version für den Schulgebrauch vorliegen.