Der Zwang, die Welt aus der Sicht des Autofahrers zu denken, ist weit verbreitet. Aber manchmal treibt die Krankheit seltsame Blüten. Denn nicht alle Flüchtlinge reisen mit dem Auto an, wie mancherorts vermutet wird.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Kreis Ludwigsburg - Heute müssen wir hier einmal über ein weit verbreitetes Volksleiden, die Autose nämlich, sprechen. Und auch vor ihr warnen, denn sie ist ansteckend. Wie ein Blick auf die Etymologie des Wortes schon zeigt, beschreibt der Begriff, die zwänglerische Neigung, eine auf das Auto reduzierte Weltsicht zu haben. Und was das noch viel Gefährlichere ist, Patienten mit dieser Fixiertheit unterstellen sie auch allen anderen Menschen.

 

Das drückt sich auf der Symptomebene vor allem darin aus, dass die Erkrankten die Welt mit Vorliebe in Kurz- und Langstrecken einteilen. Es zwingt sie, kürzeste Strecken – etwa die zum Bäcker – auf vier Rädern zurückzulegen. Gleichzeitig ist den Betroffenen der Gedanke unerträglich, andere könnten durch ihr Handeln gefährdet sein, weshalb sie die anderen in ihre Sorge einbeziehen. Das wird allerdings manchmal fälschlicherweise mit Altruismus verwechselt. Hier gilt es, bei der Diagnose genau hinzuschauen.

Autose geht manchmal mit Wahnvorstellungen einher

Bei der Autose jedenfalls kann es zu Wahrnehmungsstörungen kommen, die in Wahnvorstellungen übergehen. Ob sie den Betroffenen peinlich sind, wenn der Anfall abgeklungen ist, ist in der medizinischen Literatur nicht genau überliefert.

Belegt hingegen ist, dass es zu ganz wundersamen Krankheitsexzessen kommen kann, wie jüngst bei einem Feldversuch in Oberstenfeld deutlich geworden ist. Dort will der Kreis eine Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber errichten – auf einer Wiese im Gewerbegebiet Lichtenberger Straße.

Das hat bei manchen Anwohnern zu einem massiven Autose-Schub geführt. So wurden sogar Verkehrsprobleme halluziniert. Eben in der Annahme, dass alle Menschen für alle Situationen mit einem Auto ausgestattet seien. So kam etwa die Angst auf, ein Verkehrschaos sei unausweichlich, weil man offenbar annimmt, alle Flüchtlinge würden mit ihrem Auto anreisen. Denn die Langstrecke ist für Autose-Kranke zwingend eine Autodistanz.

Überlebende werden nicht an einer Einmündung scheitern

Nun wissen wir ja, dass die Menschen, die nach Europa kommen, viele Verkehrsmittel auf ihrem langen Weg nutzen. Aber die Individualanreise im eigenen Automobil zählt nicht zu den üblichen Fortbewegungsweisen. Dass die Menschen bei ihrer mehrwöchigen Reise einen aus der Not geborenen Überlebenswillen an den Tag legen, dürfte sich herumgesprochen haben. Sie setzen sich in übervolle Schlauchboote, die kein TÜV freigeben würde. Sie klettern auf Lastwagen, die kein Fuhrunternehmen mehr nutzen würde. Sie kriechen unter Stacheldrähten durch, dass es schon beim Hinschauen wehtut. Das lässt auf eine gewisse Lebenstüchtigkeit schließen.

Die Sorge, sie könnten am Ende der Reise an einer Straßeneinmündung in einem Gewerbegebiet scheitern, ist also völlig unbegründet, liebe Autose-Erkrankte. Auch sei versichert, dass viele Neuankömmlinge besser im Verkehrsgetümmel zurechtkommen als so mancher Bewohner einer Kreisgemeinde. Wer einmal an der Hand eines Kairoers den Tahirplatz mit seinem gefühlt 13-spurigen Kreisverkehr ohne Ampeln und Zebrastreifen überquert hat, kann nur den Hut vor Respekt ziehen. Deshalb gibt es keinen Grund, gleich nach dem Schupo zu rufen.