Nach den Pannen bei der Premiere haben Thomas Gottschalk und die ARD nachgebessert. Ein Selbstläufer ist das neue Vorabendformat aber noch lange nicht.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Einmal immerhin hat Thomas Gottschalk es schon hinbekommen, dieses Wohnzimmer-Wohlfühl-Feeling, das sich alle herbeiwünschen, am sehnlichsten wohl er selbst: Der Schauspieler Armin Rohde hat bei der zweiten Sendung am Dienstag in einer Papiertüte Wein mitgebracht und ein Baguette, und dann haben er und der Entertainer in dem bunt zusammengewürfelten Studio im Berliner Humboldt-Carré das Brot gebrochen und sich angeregt über Rohdes Fernsehfilm unterhalten. Den Wein hat Gottschalk später noch mit Franz Beckenbauer getrunken. Der Zuschauer hat dabei Mäuschen gespielt, und alles war gut. Keine „halbe Happy Hour“, wie von Gottschalk bei der Premiere versprochen, aber wenigsten ein paar „Happy Minutes“.

 

„Gottschalk Live“ wird nur überleben, wenn solche Momente verlässlicher Bestandteil dieses neuen Formats – eine Mischung aus früher Late Night und spätem Frühstücksfernsehen – werden. Davon ist es aber noch weit entfernt.

Achterbahnfahrt

Nach drei Besuchen im ARD-Vorabend muss sich der Zuschauer hingegen wie nach einer Achterbahnfahrt fühlen. „Gottschalk Live“ ist bislang ein einziges Auf und Ab, und wenn es bergabgeht und es peinlich wird für den 61-Jährigen, dann meldet sich der Magen. Bei der Premiere am Montag wollte sich dieses flaue Gefühl gar nicht mehr verziehen, angesichts einer langatmigen Erklärung des Formats und der erwünschten Zuschauerbeteiligung via Internet, angesichts der Monologe des Moderators, der sich zu sehr auf seine Erfolgsformel „Die Show bin ich selbst“ verließ.

Am ärgerlichsten stießen den 4, 34 Millionen Zuschauern – der Marktanteil betrug beachtliche 14,3 Prozent – die nervigen Werbeblöcke auf, die den Interviewteil verhackstückten und den TV-Profi Gottschalk wie einen Anfänger aussehen ließen.

Alles lief rund

Beim zweiten Anlauf lief alles rund: Armin Rohde platzierte schon nach der Anmoderation den ersten Gag: „Wir unterbrechen für eine Werbepause.“ Das Eis war gebrochen, und man erlebte einen Gottschalk wie in den guten Zeiten von „Wetten, dass . . ?“: entspannt, schlagfertig, motiviert, vorbereitet. Die ARD war schlau genug, die Kritik der Internetnutzer ernst zu nehmen und die Werbepausen von drei auf zwei zu reduzieren und zu entzerren. Es war ein schwerer Fehler, so deutlich zu zeigen, wozu man das Format überhaupt ins Programm genommen hat: um Geld damit zu verdienen. Anstatt der in der Auftaktsendung wiederholt eingeblendeten Selbstbeweihräucherungsfotos von Gottschalk („ich und Heidi Klum“, „ich und Nicolas Cage“, „ich als junger Moderator“), gab es eine Liveschaltung zu Wim Wenders, dessen Film „Pina“ an dem Tag für den Oscar nominiert worden war, und als dritten Studiogast einen nachdenklich-offenen Franz Beckenbauer, der davon erzählte, wie ihn seine Kinder jung halten.

Tags darauf saßen Gottschalk vier Kinder und ein Hund gegenüber, die Helden aus dem Kinofilm „Fünf Freunde“. Die Jungdarsteller machten große Augen, brachten aber den Mund kaum auf, und wieder musste Gottschalk ganz viel reden und seine Fragen meistens selbst beantworten. Natürlich kann der Entertainer das hervorragend, ohne dass es zäh wird, doch als Zuschauer wünscht man ihm einfachere Gäste. Solche, die ihm Pässe zuspielen, auf die er mit seinem spontanen Witz reagieren kann. Den legt er bislang vor allem dann an den Tag, wenn Bewegung im Studio ist, etwa, wenn er mit den Kids zu seiner Social-Media-Mitarbeiterin Caro spaziert, damit sie am Rechner chatten können, und den Hund dabei belehrt: „Das ist Facebook und kein Fressbook.“ Solche sinnfreien Jokes mögen einstudiert sein, sie kommen aber trotzdem gut, ebenso wie die abstruse Idee, Gottschalk am Klavier ein Gute-Nacht-Lied singen zu lassen.

„Eine Wundertüte“

Aus solchen Passagen könnte das Format einmal seine Stärke beziehen. Bei den Themen und den Gästen hat man noch das Gefühl, einem Suchprozess beizuwohnen, was an sich nicht schlecht sein muss – „eine Wundertüte“ , wie Gottschalk seine Sendung charakterisierte, kann ja schließlich auch erfreuliche Überraschungen enthalten. Angekündigt worden waren Themen „zwischen Boulevard und Feuilleton“, das zumindest war bisher kein leeres Versprechen, und die Kultur, so oberflächlich sie in der Kürze der Zeit gestreift wird, scheint ein neues Eckchen bei der ARD gefunden zu haben. Die versprochene Meinungsstärke wirkt dabei noch arg verzwungen, weil Gottschalk jedes Mal mehr oder weniger explizit auf sie hinweist. Bei der von seinem verantwortlichen Redakteur Carsten Wiese eingeforderten „Relevanz und Haltung“ hat „Gottschalk Live“ – sagen wir es positiv – noch sehr viel Entwicklungspotenzial.

Eines sollten Gottschalk und sein Team schnellstens hinkriegen: die technischen Abläufe fehlerfrei zu absolvieren. Am Mittwoch kündigte der Moderator einen Werbeblock viel zu früh an, am Schluss würgte die Reklame die Abmoderation jäh ab. Erst Aufmerksamkeit erregen, dann mit Qualität überzeugen: so lautete das Rezept der ARD, um den Vorabend aus der Krise zu führen. Die Aufmerksamkeit des TV-Publikums hat „Gottschalk Live“ gehabt, jetzt muss die Show schleunigst Qualität hervorbringen. Die Quote ist am zweiten und dritten Tag mit Marktanteilen von 8,6 und 7,8 Prozent auf dem durchschnittlichen ARD-Vorabendniveau angekommen.