An Geschichten über Drogen und Sex mangelte es nicht im Leben von Grace Jones. In ihren nun vorgelegten Memoiren hält die Pop-Ikone der Achtziger damit nicht hinterm Berg.

New York - Er war wie die Wiederauferstehung einer Göttin: der Auftritt von Grace Jones in Brooklyn im vergangenen Sommer. Da stand sie auf der Bühne des Prospect Park, nackt, mit afrikanisch anmutender Körperbemalung, ließ einen Hula-Hoop-Reifen mit stoßartigen Hüftbewegungen um ihre Taille kreisen und ächzte mit der ganzen sexuellen Aggressivität, die sie zur Ikone gemacht hat, ihren Achtziger-Jahre-Hit „Slave to the Rhythm“ ins Mikrofon. Für die junge Generation, die das Gros ihres Publikums beim Afro-Punk Festival in Brooklyn ausmachte, war der Auftritt eine Offenbarung. Sofort wurde bei den Hüftschwüngen der mittlerweile 67-Jährigen klar, dass sie das Original ist, „the real Thing“, und Lady Gaga, Rihanna, Miley Cyrus oder Nicki Minaj bestenfalls mediokre Nachahmerinnen.

 

Mit dem Auftritt rief sich Grace Jones, um die es seit ihrem erfolgreichen letzten Album „Hurricane“ von 2008 eher ruhig geworden war, der Popöffentlichkeit schrill in Erinnerung. Jetzt legt sie mit der Veröffentlichung ihrer Memoiren auf satten fünfhundert Seiten nach. Das Buch, das sie laut dem Titel „I’ll never write my Memoirs“ niemals schreiben wollte, enttäuscht niemanden, der von der androgynen Queen der Post-Disco-Ära mit der Ausstrahlung einer Dominatrix fasziniert ist, seit sie in den achtziger Jahren der Mittelpunkt des legendär ausschweifenden New Yorker Nachtlebens war. An Geschichten über Drogen und Sex mangelt es nicht im Leben von Grace Jones, und sie hält damit nicht hinter dem Berg.

Mit einigem Stolz sowie einer gehörigen Portion Nostalgie berichtet Grace Jones von den Nächten im Studio 54, dem New Yorker Nachtclub, in dem in den Achtzigern die ganze Welt gerne gewesen wäre. Sie erzählt von Kokainexzessen, bei denen die Droge über Schleimhäute der verschiedensten Körperöffnungen appliziert wurde, von Partys, in denen es Räume mit passenden Drogen und Sexpartnern für die verschiedensten Gemütszustände gab. Sie berichtet von „Love Ins“, in denen die Gäste „einfach ihre Liebe ungehemmt fließen ließen“, wie sie sich erinnert.

Das alles ist wenig überraschend und kaum schockierend. Grace Jones ist die Ikone jener Ära des grenzenlosen Hedonismus, der sie mit ihrem Album „Nightclubbing“ schon seinerzeit ein Denkmal gesetzt hatte. Ein Schock wäre es für Grace Jones-Fans eher gewesen, wenn das alles nicht so gewesen wäre. Weniger bekannt als diese Episoden, die schon damals durch die Klatschpresse geisterten, ist die Kindheitsgeschichte von Grace Jones, bei deren Erzählung sie ebenfalls kein Blatt vor den Mund nimmt. Von klein auf musste Grace Jones die Tyrannei ihres Vaters, eines fundamentalistischen Predigers aus Jamaika, ertragen. Totale Überwachung, Repression und regelmäßige häusliche Gewalt waren bei den Jones an der Tagesordnung.

Das erklärt sicherlich ihre extreme Rebellion, ihr obsessives Brechen von Tabus, auf und abseits der Bühne. Und es erklärt wohl auch, dass viele ihrer Beziehungen so endeten, wie die mit ihrem männlichen Alter Ego Dolph Lundgren, auf den sie in einem Hotel in Los Angeles mit einem Revolver los ging.

Wie Grace Jones zum Symbol ihre Zeit wurde bleibt derweil letztlich unerklärlich, man kann aufgrund der biografischen Fakten darüber nur spekulieren. Da war einerseits ihr persönlicher Stil, den sie schon als junges Model in Paris entwickelte, als sie sich die Haare schor und sich als Reinkarnation von Josephine Baker inszenierte. Da war aber vor allem auch die Verbindung mit dem Fotografen Jean-Paul Goude, dem Vater ihres einzigen Kindes, ihres Sohnes Paulo. Goude spitzte den Stil von Grace Jones zu und setzte sie entsprechend in Szene. Von ihm stammt etwa das legendäre Foto, bei dem Jones ein Champagner-Glas auf ihrem formidablen Hinterteil balanciert, das erst jüngst von Kim Kardashian gewinnbringend zitiert wurde.

So wurde Jones zu einem Gesamtkunstwerk, das einen neuen Typus des weiblichen Popstars verkörperte: selbstbewusst, hypersexuell, dominant, transgressiv, androgyn. Jones wurde zur Marke und zum viel zitierten Vorbild einer ganzen Generation, angefangen von Madonna bis hin zu Lady Gaga und Miley Cyrus. Doch für ihre Nachahmerinnen hat die Mutter des Disco-Punk nur wenig Sympathie. So ließ sie jüngst Lady Gaga abblitzen, als diese eine Zusammenarbeit vorschlug – Gaga habe nichts Interessantes zu bieten, meinte Jones nur lapidar. Und in ihrem Buch schreibt sie: „Die sind alle gleich, keine von denen hat etwas Eigenes.“

Aus solchen Worten spricht wohl die Eitelkeit der streitsüchtigen Diva, die eifersüchtig ihr Terrain verteidigt. Doch Grace Jones macht sich dabei auch mit 67 Jahren nicht lächerlich. Wer sie etwa im Prospect Park gesehen hat, der kann ihr nur zustimmen, dass die Jungen in der Bringschuld sind.