Herold Pfeifer und Neckarsteinach schafften es auf Titelseiten von Tageszeitungen und in die Politmagazine von Sendern. Die Staatskanzlei in Wiesbaden („Keine Unterstützung für den Wechsel“) und Ministerpräsident Winfried Kretschmann in Stuttgart („Fühlen uns in höchstem Maß geehrt“) sahen sich genötigt, Stellungnahmen abzugeben. Es herrschte große Aufregung allenthalben. Die Frage ist: Warum eigentlich?

 

Schon heute ist vieles im Alltag des 3800-Einwohner-Städtchens an Baden-Württemberg angepasst. Die meisten Neckarsteinacher arbeiten in Baden-Württemberg, gehen in Baden-Württemberg einkaufen, und wer abends ausgehen will, fährt nicht die 45 Kilometer nach Heppenheim, sondern mit der S-Bahn nach Heidelberg. Das dauert 20 Minuten, der Verkehrsverbund Rhein-Neckar kennt keine Ländergrenzen. Die Freiherr-von-Stein-Schule hat den gleichen Ferienplan wie die Schulen im badischen Umkreis, das nächste Gymnasium ist ohnehin in Neckargemünd – jenseits der Grenze. Die Spielvereinigung spielt in der Kreisliga Heidelberg Fußball, alle übrigen Mannschaften kommen nicht aus Hessen, sondern aus dem Nachbarbundesland. Daher sind die Neckarsteinacher auch nicht Mitglied im hessischen Fußballbund, sondern im badischen.

Einen Unterschied zwischen hüben und drüben gibt es vor allem für die jüngeren Einwohner Neckarsteinachs schon längst nicht mehr. Schräg gegenüber von Pfeifers Rathaus stehen an einem grauen Dienstagnachmittag fünf junge Männer um die 20 und warten auf den Bus nach Heidelberg. Fragt man sie, was sie von den Umzugsplänen des Bürgermeisters halten, sagt einer: „Die Grenze, die da verschoben werden müsste, existiert gar nicht mehr.“ Die Umstehenden nicken zustimmend. Sie sagen, sie würden sich eher als Einwohner der Metropolregion fühlen, vielleicht als Heidelberger, vielleicht als Kurpfälzer. Aber als Hessen oder als Badener? Eher nicht.

Die Aufregung darüber, ob ihr Ort das Bundesland wechselt oder doch alles bleibt, wie es ist – für die Jungen eher befremdlich. Sie haben eine pragmatische Einstellung zur Länderfrage. Sie sind groß geworden in einer Zeit, in der innerhalb der Europäischen Union immer mehr Staaten zueinanderfinden und dafür immer größere Teile ihrer nationalen Souveränität abgeben – zu Gunsten einer gemeinsamen Idee. Heute ist es möglich, mit dem Auto von Lissabon nach Warschau zu fahren, ohne einmal den Pass herzeigen zu müssen. Wen interessiert da noch die Frage, ob Hessen oder Baden-Württemberg, ob Wiesbaden oder Stuttgart, ob grüne Soße oder Maultaschen?