Das Männerwohnheim an der Böckinger Straße ist für sein Gartenprojekt ausgezeichnet worden. Es gibt den Bewohnern eine sinnvolle Tagesstruktur und Verantwortung und steigert ihr Selbstwertgefühl.

Rot - Seit dem Jahr 2004 betreibt das Immanuel-Grözinger-Haus (IGH) ein Gartenprojekt. Auf dem 1,2 Hektar großen Gelände, das sich direkt neben dem Männerwohnheim befindet, gibt es Obstbäume, Beerensträucher, Blumenbeete, Gewächshäuser, Bienenstöcke und sogar Gänse und Hühner. Für die Bewohner des IGH ist der Garten nicht nur ein Ort der Erholung, sie finden dort auch (auf freiwilliger Basis) eine sinnvolle Beschäftigung. Das Projekt ist nun mit dem Stuttgarter Bürgerpreis ausgezeichnet worden.

 

Am liebsten ist Achim Sorgatz im Stall bei den Hühnern und Gänsen. „Das lenkt mich vom Alkohol ab, ich habe eine Aufgabe und hänge nicht mehr irgendwo in der Stadt rum“, sagt er während er Berta, seiner Lieblingshenne, übers Federkleid streicht. Das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun und stolz darauf zu sein, hatte er nach vielen Jahren auf der Straße längst verloren. „Ich möchte das gar nicht mehr wissen. Ich würde wahrscheinlich wieder in den alten Trott fallen“, sagt Sorgatz. Auch Manfred Eisenhardt hat im Garten seine Aufgabe gefunden. „Ich bin der Beerenexperte“, erzählt er schmunzelnd. Der 70-Jährige kümmert sich um Holunder-, Johannis- und Stachelbeersträucher. Er freut sich darüber, dass den Nachbarn seine Beeren schmecken und sie regelmäßig vorbeikommen, um sich die Früchte bei ihm zu holen.

144 alleinstehenden Männern bietet das IGH ein Zuhause. Wer dort lebt, kämpft oft mit einem ganzen Bündel von Problemen: Sucht, Schulden, Einsamkeit, psychische Schwierigkeiten. „Jeder Bewohner bringt seine ganz eigene Geschichte mit, aber auch viele Fähigkeiten. Und die wollen wir wieder wecken“, sagt IGH-Mitarbeiter Markus Vordermeier, der seit 2009 das Gartenprojekt leitet. Neben Männern aus dem IGH kümmern sich auch Bewohner des Christoph-Ulrich-Hahn-Hauses und Nachbarn um den Garten. Regelmäßig sind Kindergärten und Schulen zu Gast. „Der Garten sorgt dafür, dass das IGH sehr gut im Stadtteil integriert ist“, sagt Vordermeier. Vorurteile würden abgebaut, die Nachbarn könnten sehen, dass die Männer etwas arbeiten. „Der Preis der Bürgerstiftung ehrt unsere Arbeit sehr“, sagt Vordermeier. Die 5000 Euro Preisgeld sollen auf jeden Fall in das Projekt gesteckt werden.

Die Männer bekommen eine sinnvolle Tagesstruktur

Der Stuttgarter Bürgerpreis wurde heuer zum achten Mal vergeben. Aus mehr als 70 Bewerbungen wählte eine zehnköpfige Jury sechs Projekte aus vier Kategorien aus, im Bereich „Nachhaltigkeit“ wurde das IGH ausgezeichnet. Übergeben wurden die Auszeichnungen am 31. Januar im Porsche-Museum.

Durch die Beschäftigung im Garten bekommen die Männer eine sinnvolle Tagesstruktur, übernehmen Verantwortung und können zeigen, was in ihnen steckt. Das stärkt nicht zuletzt auch das Selbstwertgefühl. Laut Axel Glühmann, Bereichsleiter im IGH, sei es ein Glücksfall gewesen, dass man das brach liegende Gärtnereigelände habe pachten können. Zunächst sei dort nur an einem Nachmittag pro Woche mit den Bewohnern gearbeitet worden, seit 2009 gebe es einen Regelbetrieb an fünf Tagen. Im Laufe der Zeit ist das Angebot immer weiter ausgebaut worden. 2015 beispielsweise haben die Bewohner erstmals Getreide angebaut und im selbst errichteten Backhaus Brot gebacken. In einer Fahrradwerkstatt werden defekte Drahtesel wieder hergerichtet. Ein weiterer wichtiger Baustein des Projektes ist seit 2014 das Nachbarschafts-Café TaS, dessen Betrieb die Bewohner selbstständig organisieren.

Auch im Winter gibt es im Garten einiges zu tun: Hecken und Gehölze müssen geschnitten werden, Gewächshäuser werden auf Vordermann gebracht und die Tiere brauchen natürlich regelmäßig Futter. „Ich arbeite gern draußen. Ich brauche Bewegung und Luft“, sagt Rolf Hellenschmidt, der Brennholz für die Werkstätten und das Gartenhaus hackt. Hätte er diese Aufgabe nicht, so sagt er, dann säße er wohl den ganzen Tag in seinem Zimmer, würde Fernsehen schauen und dabei „verblöden“.