Kultur: Stefan Kister (kir)

Bisweilen macht sich das Nachlassen der Kraft dichterisch und zeichnerisch durchaus bemerkbar: Doch wo das prosaische Versmaß holpert, die alte Lust an der Levitenleserei gefährlich grummelt und die Schraffur der Bilder verschwimmt, da beglaubigen diese Schwächen mehr, als sie schaden. Sie stellen sich gewissermaßen in den Dienst der Darstellung, rücken ein, wo es dem Dichter an Mitteln gebricht.

 

Die längste Geschichte, für die der Erzähler noch Atem hat, ist der Sargwahl vorbehalten: „Worin und wo wir liegen werden.“ Beim befreundeten Schreiner Adomeit lassen sich der Autor und seine Frau zwei Kisten zimmern, eine aus Kiefer, eine aus Birke, für jedes der Kinder einen Haltegriff, raschelndes Laub soll die Grabbeigabe sein. Man plaudert mit dem wackeren Handwerker zu einem Schnäpschen über die kletternden Benzinpreise, schützt das vollendete Werk nach zufriedenem Probeliegen mit Plastikplanen vor Fliegenschiss. Hier wie auch in den anderen Denkbildern des Bandes ist dem klar konturierten Realismus stets ein Hintersinn unterlegt, der über die Gegenständlichkeit hinausweist, auf die sich Grass beschränkt. Es ist ein Hintersinn freilich, der keine falschen Hoffnungen schürt. Er bleibt dem Diesseits verhaftet, so kurz die Frist auch sein mag, die Grass vergönnt ist, noch darin zu weilen. „Was unseren Tod betrifft, / sind wir uns einig: / nur was / im unmöblierten Nichts geschieht, / bleibt eine immergrüne Frage.“

Feier des Daseins

Die bedeutsame Welt der toten Dinge gehört seit je zur Signatur der Melancholie. Deren Bildwelt durchzieht das Buch. Bewegend bekennt Grass, umdüstert von einer Schwermutsattacke auf dem Lübecker Weihnachtsmarkt, wie sehr er zeitlebens sein Werk dem Trübsinn, der Depression zu entringen hatte. Und doch ist dieses Memento mori seines letzten Buches zugleich eine Feier des Daseins. Die Heiterkeit des Alters ist keine leere Parole. Sie gerinnt in dem schlichten Wörtchen „jetzt“: So wie es hier noch einmal ausgesprochen wird, eignet ihm ein Klang, den es zu Zeiten, in denen das Jetzt die Regel war, nie besaß.

Im Abendlicht tritt ein Dichter in Erscheinung, der sich für das letzte Porträt gerade nicht in der Pose in Stellung bringt, die für sein Leben bezeichnend war, sondern als Hinfälliger, unterworfen der „Endlichkait“, die er ganz zum Schluss im Idiom seiner kaschubischen Herkunft besingt. Es zählt sicher zu dem wundersamen Paradox der Literatur, dass gerade diese sich aller Jenseitszuversicht enthaltende Bestandsaufnahme zu den Texten gehören wird, in denen Grass unsterblich wird.