Der nächste Teil unserer Serie zum Thema Übernachten in Stuttgart: auf Kurzurlaub im Arcotel Camino. Von dort aus lassen sich die Baustellen des Milaneo und der U12 beobachten – in einem speziellen Zimmer, das 20 Euro teurer ist.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Es soll Menschen geben, die einer sehr speziellen Leidenschaft nachgehen: dem Baustellengucken. Eingefleischte Stuttgart 21-Gegner werden es nie verstehen, aber ein solch gigantisches Projekt zieht immer auch Schaulustige an, die fasziniert sind von den Möglichkeiten der Technik, von den Dimensionen der Baustelle und vom architektonischen Aufbruch in eine vermeintlich neue Ära. Die Hafen-City in Hamburg war zum Beispiel in allen Phasen ihrer Entstehung eine Attraktion, nicht nur für Touristen.

 

Das Viersterneplus-Haus Arcotel Camino, das zentral, aber auch verkehrsumtost und baustellenbedrängt an der Heilbronner Straße liegt, macht aus der Not eine Tugend und hat mit einigem Augenzwinkern ein „Schaustellenzimmer“ eingerichtet. Das helle Eckzimmer mit acht (!) Fenstern ist 20 Euro teurer, bietet aber einen hervorragenden Blick über das Europaviertel, wo gerade das Milaneo und die neue Strecke der Stadtbahn U 12 entstehen. Ein Fernrohr zoomt alles heran, selbst abends um 22 Uhr gibt es noch Programm, und der Gast kann den Arbeitern dabei zuschauen, wie sie erst kräftig gähnen und dann wieder dicke Kabel beiseite schaffen.

Vor sechs Jahren, als das Arcotel seine Pforten öffnete, gab es sogar noch den direkten Durchblick auf die Gleise. Doch seither sind Südleasing, Sparkassenakademie & Co. längst fertig gestellt worden, sodass man sich mit den oben genannten, im Bundesranking doch eher zweitklassigen Baustellen begnügen muss. Dazu passt letztlich, dass man im Hotelzimmer keine Infos über Stuttgart 21 findet, obwohl die Internetseiten dies versprechen. In den zwei ausliegenden Büchern über historische Lokomotiven und den „Verkehrsknoten Stuttgart“ taucht das Projekt jedenfalls nicht auf. Allerdings, sagt Geschäftsführer Peter Leidig, sei das Zimmer nicht wegen der Baustellensicht teurer, sondern wegen der Superior-Ausstattung, zu der etwa ein wirklich cooler Kugelsessel gehört.

Hier hat früher das Postdörfle gestanden

Tatsächlich lohnt es sich für den Gast, den Blick auf das Interieur und auch auf das Gebäude selbst zu lenken. An dem Ort stand früher das Badehaus des Postdörfles, in dem – trotz des Namens – im 19. Jahrhunderts vor allem Arbeiter gewohnt haben, die den Ausbau der württembergischen Eisenbahn vorantrieben. Das Badehaus und sein Nachbargebäude standen sogar unter Denkmalschutz, doch nach einigen gescheiterten Rettungsversuchen stimmte die Stadt zu, dass die beiden Häuser bis auf die Fassade abgerissen werden durften – wie man gerade am Gerber-Einkaufszentrum wieder sieht, geschieht dies in Stuttgart durchaus öfter.

Der Architekt Christoph Mäckler, der bekannt dafür ist, historische Bausubstanz mit Neuem zu verbinden, hat das Beste aus den Überresten gemacht: Er hat die alten Fassaden durch einen neuen Mittelbau verbunden; mit den insgesamt sieben Giebeln und Giebelchen strahlt das Arcotel nun Würde aus und macht das Hotel unverwechselbar. Im Innern hat das Haus übrigens einen rein modernen, aber auch individuellen Stil. Ein großer Lüster ziert das Foyer, das Badezimmer ist offen in den Raum integriert, und die Teppiche sind mit ihren Mustern fast ein wenig flippig.

Die Klötze wirken kühl

Mehr als eine Fußnote ist übrigens, dass der im Moment in Stuttgart nicht gut gelittene Matthias Düsterdick der Projektentwickler des Arcotels war – der Chef der Investmentgruppe PDI in Düsseldorf hat der Stadt die Villa Berg weggeschnappt und blockiert nun deren eigene Pläne. Beim Arcotel hat Düsterdick aber zumindest bewiesen, dass er sensibel mit historischer (Rest-)Substanz umgehen kann.

Doch wer die S-21-Baustelle live erleben will, muss das Arcotel verlassen. Ein kurzer Spaziergang führt hinüber zum Pariser Platz, wo im einzigen Restaurant des Viertels alle Sitzplätze draußen belegt sind. Es gibt also doch Leben im A-1-Gebiet. Über den neuen Querbahnsteig des Hauptbahnhofes gelangt man zum Fußgängersteg, der einen hinab in den Schlossgarten bringt. Dort bieten sich die erhofften Ausblicke auf den ersten Trog des Tiefbahnhofes, auf die verstümmelten Grundmauern des abgerissenen Südflügels, auf das Labyrinth von blauen Rohren, auf die Baustellencontainer und auf die Armada von Absperrgittern. Der Baustellenguckengeher findet hier alles, was sein Herz begehrt – inklusive einer Aussichtsplattform der Bahn neben dem Planetarium und dem Infostand der Gegner auf dem Arnulf-Klett-Platz. So richtig aufregend ist alles dennoch nicht.

Zumindest kann er auf dem Rückweg das fast fertige A-1-Gelände bestaunen. Oder doch lieber betrauern? Viele Bauherren haben sich große Mühe gegeben mit teuren Sandsteinfassaden und markant gewölbten Rasenflächen. Und doch wirken die riesigen Klötze mit ihrem Stahl und Glas und Beton zwar urban, aber irgendwie auch abweisend und kühl. Wenn dann das Arcotel in Sicht kommt mit seinen alten Mauerquadern und spitzen Giebeln, wird es einem fast ein wenig warm ums Herz.

Zumal man sich jetzt auf den Luxus eines Viersterneplus-Hotels freuen darf. Und vielleicht vor dem Schlafengehen auch auf einen kleinen Drambuie an der Hotelbar – das ist ein 17 Jahre alter Whiskey, gemischt mit Heidehonig aus den Highlands und mehreren Kräutern.

Verdammt süß, verdammt lecker.