Im April wurde in der Justizvollzugsanstalt Bruchsal erneut ein Gefangener leblos in seiner Zelle gefunden. Hatte man einen psychisch kranken Menschen sich selbst überlassen? Briefe, die der Tote hinterließ, zeigen: der junge Mann war verzweifelt.

Bruchsal - Maximilian S. war kein einfacher Mensch. Der Rastatter Rechtsanwalt Klaus Harsch, der den Gefangenen zivilrechtlich vertrat, nennt ihn einen „fadengeraden, unbelehrbaren Logiker, der handelte, wie er redete“ – und der entschieden der Meinung war, dass er mit Recht tat, was er tat; was doch auch die Justiz einsehen müsse.

 

Die sah das aber anders. Sie nahm Gewalt für Gewalt und nicht als ein Maximilian S. zustehendes Recht. Was den jungen Mann 2012 auf eine Odyssee durch Baden-Württembergs Gefängnisse brachte. Die Reise endete am 8. April, als der 22-Jährige tot in seiner Zelle in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bruchsal aufgefunden wurde. Noch hat die Staatsanwaltschaft Karlsruhe das Todesermittlungsverfahren nicht abgeschlossen, man erwäge weitere Ermittlungen, heißt es in Karlsruhe. S. hatte Medikamente bekommen. Morgens, mittags und abends. In seinem Körper fanden sich Spuren von Methadon, dabei hatte der Gefangene an keinem Methadonprogramm teilgenommen.

Über die Internetseite einer Gefangenenhilfsorganisation wurde bekannt, dass sich Maximilian S. vor seinem Tod über Schikanen durch leitende Bedienstete der Haftanstalt beschwert hatte. Inzwischen liegt der Staatsanwaltschaft auch die Anzeige eines früheren Mithäftlings wegen unterlassener Hilfeleistung vor. Tenor: Briefe des Verstorbenen hätten dessen suizidale Grundstimmung offenbart, niemand habe ihm geholfen, obwohl die Korrespondenz mit Sicherheit überwacht worden sei.

Der Häftling hat Spuren hinterlassen

Maximilian S. ist nicht ohne Spuren von dieser Erde verschwunden. Rechtsanwalt Harsch liegt ein Bündel von Briefen vor, welche die Stuttgarter Zeitung einsehen konnte. Sie stammen aus Bruchsal, aus den letzten Wochen im Leben des jungen Mannes. Ihre Adressaten waren zwei Mitgefangene und Freunde aus der gemeinsamen Zeit in der JVA Heimsheim. Die Briefe zeichnen das Bild eines verzweifelten Menschen und werfen auch Fragen an den Strafvollzug auf. „Ich habe immer gesagt, dass mir der Knast scheißegal ist und die mich nicht brechen können“, schreibt Maximilian S. kurz vor seinem Tod. „Aber Bruder, in den sechs Monaten, in denen ich in Absonderung war und dazu noch in was für Gefängnissen, haben sie es geschafft, mich zu brechen. Ich habe einfach keine Lust mehr. Ich spüre, wie ich langsam die Hoffnung verliere und meine schönen Erlebnisse im Leben vergesse.“

S. war nach einer Messerstecherei in Haft genommen worden. In der Strafanstalt Adelsheim verletzte er dann eine Justizbeamtin so schwer, dass sie dienstunfähig wurde. Eine Tat, wie sie ähnlich auch Rasmane K. begangen hatte, jener Mann aus Afrika, der in seiner Einzelzelle in Bruchsal verhungerte. „Heute habe ich von anderen erfahren, dass ich genau in der Zelle bin, in der dieser Afrikaner verhungert ist“, schreibt S. später aus Bruchsal. „Hinter meinem WC kommen Kakerlaken raus, die locker drei Zentimeter groß sind.“ Tatsächlich war S. von seiner Ankunft in Bruchsal bis zum 30. März 2015, also bis kurz vor seinem Tod, in der Zelle untergebracht, in der Rasmane K. den Hungertod starb.

Auch mit der Attacke auf die Justizbeamtin hinterließ S. eine Spur in dieser Welt, eine hässliche, aber auch eine, von der Rechtsanwalt Harsch sagt, dass sie vermeidbar gewesen wäre. S. habe sich mit der Beamtin überworfen gehabt. „Er hatte angekündigt, dass er sie zusammenschlägt, wenn er sie wieder trifft.“ Dass er ihr überhaupt wieder über den Weg laufen konnte, dafür trage der Staat eine Mitverantwortung. Man habe doch gewusst: S. handelte, wie er redete. Laut Justizministerium war S. bereits von 2009 bis 2011 in Adelsheim eingesessen. Die Beamtin fand Grund zur Klage über die Qualität seiner Arbeit als Reiniger. Für den späteren Übergriff Ende November 2012 hätten sich daraus indes „keinerlei Anhaltspunkte“ ergeben. Dass sich S. mit solchen Angriffen bei den Justizbeamten keine Freunde machte, liegt auf der Hand. „Er stand unter negativer Bewertung“, meint einer der Briefempfänger.

In der JVA Heimsheim kam es erneut zum Konflikt mit einer Justizbeamtin, die S. sexuelle Anzüglichkeiten in Worten und Gesten vorwarf. Laut Anstaltsleitung sagte S., Frauen hätten im Justizvollzug nichts zu suchen. Dies sei mit einem „männlichen Balletttänzer“ vergleichbar. Er wurde nach Mannheim verlegt, eine Haftanstalt, die er als „Irrenanstalt“ beschreibt. Dort schlug er sich mit einem Häftling. „Die haben mich in Isolationshaft gebracht, so richtig mit Einzelhof im Käfig und so.“ Dann wurde er nach Bruchsal verlegt, die Haftanstalt für die schweren Fälle.

“Zur Blutabnahme gezwungen“

„Jetzt ist mir alles egal“ – diese und ähnliche Formulierungen finden sich häufig in den Briefen. Mehrfach beschreibt er Beschwernisse bei der medizinischen Versorgung. „Dann hab ich noch Probleme mit dem Revier hier, weil die mir nicht genug von den Medikamenten, die ich brauche, geben. Ich bin dann abends in meiner Zelle voll durchgedreht und habe mit einer Rasierklinge mein komplettes Bein aufgeschnitten, meine ganze Zelle war voller Blut, und ich habe dann doch geklingelt, und die haben mich ins Krankenhaus gefahren.“ Später berichtet er, eine der Schnittwunden wolle einfach nicht verheilen und blute schon seit mehr als einem Monat. „Ich muss jeden zweiten Tag diskutieren, dass ich einen neuen Verband bekomme, damit ich wenigstens duschen kann.“ Ein anderes Mal schreibt er: „Letzte Woche haben sie mich zur Blutabnahme gezwungen, wenn ich das nicht mache, werden alle meine Tabletten abgesetzt.“

S. fürchtet, dass ihm zu seiner sechsjährigen Gefängnisstrafe die Sicherungsverwahrung aufgebürdet wird. Sein Lebensmut schwindet und weicht dem Hass auf die Justiz. Rachefantasien überwältigen ihn: „Ich freue mich auf den Geruch ihres Fleisches wenn sie in der Hölle brennen. Ich werde sie, wenn Gott will, bespucken und bepissen, während sie bis in alle Ewigkeit brennen. Ich sehne mich nach diesem Moment. Bruder wir werden uns eines Tages wiedersehen, bis dahin pass auf dich auf.“ Übergangslos kommt er auf seinen Mangel an Briefmarken zu sprechen.

Zwischendurch schmiedet er auch Pläne. Er bemüht sich um die Teilnahme an einem Computerkurs, klagt dann aber wieder, es gehe ihm „psychisch schlecht, ich verliere langsam meine Hoffnung und meine Freude. Bruder, ich sage dir, dieser Knast macht Menschen hoffnungslos (. . .) Ansonsten gibt es hier im Knast nicht viel zu erzählen, da es total der triste Ablauf ist, der einen automatisch depressiv macht. Aber ich wusste ja schon immer, dass ich irgendwann hier enden werde.“

„Drogen + Gewalt + Alkohol + Knast“

Wahrscheinlich von einem Mitgefangenen ließ sich S. zum Islam hinführen, wobei offen bleibt, wie tief dies tatsächlich ging. In einem Brief äußert er sich sehr grundsätzlich zum Strafvollzug: „Seit Mannheim nehme ich auch keine Drogen mehr, denn das schöne Gefühl dabei ist nur ein Illusion, das wirkliche Glück ist nur im Paradies, ich hoffe dich und Mohammed (ein früherer Mitgefangener) dort zu treffen, auch wenn unser Glaube etwas unterschiedlich ist. Ich sehne mich nach dieser Zeit.“ S. nimmt sich vor, „wenn ich irgendwann mal rauskomme“, eine Frau zu suchen und Kinder zu haben, denn was soll ich sonst am Jüngsten Tag vorweisen. Drogen + Gewalt + Alkohol + Knast ist, was ich bis jetzt erreicht hab’, und ich denke, dass das nicht reichen wird und dass das der falsche Weg ist. Aber der richtige Weg ist schmal, das steht auch in der Bibel. Hier sind die Leute schlecht, alles dreht sich nur um Drogen. Ich will mit diesen Menschen nichts zu tun haben, aber sie kommen immer wieder zu mir. Ich denke, dass das der Test ist und ich standhaft bleiben muss. Der Teufel lauert überall, auch in manchen Menschen. Bruder, ich fühle mich hier verloren . . .“

Spiegeln diese Sätze eine unabwendbare Tragödie, oder trägt der Strafvollzug eine Mitverantwortung? Der psychologische Dienst bescheinigte S. eine positive Entwicklung in Bruchsal. Für Rechtsanwalt Harsch aber ist eindeutig: Die Briefe mit ihren „vielen dramatischen und depressiven Formulierungen“ geben Auskunft über eine suizidale Gefährdung. Der Anwalt geht davon aus, dass S. Hand an sich legte. Auf jeden Fall aber habe man einen verzweifelten jungen Menschen sich selbst überlassen. Dabei sei bei der Vorgeschichte von S. zwingend davon auszugehen, dass die Briefe von der Gefängnisverwaltung gelesen wurden. Niemals hätte man S. in Einzelhaft stecken dürfen, rügt Harsch. „Der Mann hätte beobachtet werden müssen“, sagt er. Der Staat sei verantwortlich für die Strafgefangenen. Das ergebe sich aus dem Gewaltverhältnis des Staats gegenüber den Gefangenen. „Und dazu gehört ganz zentral die lebenserhaltende Fürsorge.“