In Engelbert Humperdincks Oper schlafen Hänsel und Gretel ein. In Serebrennikows Film zur Oper wachen sie auf dem Kontinent auf, den sie sich erträumten. Dort begegnen sie: der Hexe – aber die ist keine Person, sondern ganz allgemein die Welt des Konsums. Vor dem Schaufenster einer Konditorei mit zuckersüßer Tortenauslage drücken sich die ruandischen Kinder die Nasen platt. „Die Figur der Hexe“, sagt die Dramaturgin Ann-Christine Mecke, „hat Kirill Serebrennikow in seinem Film ausgelassen. Deshalb mussten wir dafür eine spezielle theatrale Lösung finden.“ Insgesamt habe man für die Inszenierung eine „dramaturgische Form gewählt, die nicht verdeckt, dass Sänger am Werk sind“: eine epische, vielleicht sogar postdramatische Form. „Natürlich“, so Mecke, „sind Sänger auf der Bühne immer Darsteller, nicht sie selbst, aber die Ebenen werden hier durchlässiger.“

 

Wie aber kann das gelingen, was sich die Oper seit der Nachricht von Kirill Serebrennikows Hausarrest vorgenommen hat? Kann man tatsächlich zwei Geschichten auf einmal erzählen: die von Hänsel und Gretel und die von einem Regisseur, der deren Geschichte eben nicht inszenieren kann? Wie kann ein Musiktheaterabend rund werden, der aufzeigt, dass er nicht rund sein kann? „Die Märchenhandlung und die Geschichte der Produktion überlagern sich“, sagt Ann-Christine Mecke, „und der Wendepunkt ist der Moment, an dem die Hexe auftaucht. Da spürt man, dass die Hoffnung und Freude des Anfangs nicht bleiben können. Wir sehen auch die Geschichte eines Ensembles, das sich auf eine Arbeit freut, die so nicht stattfindet.“

Oper für Kinder?

Ob das etwas für Familien, für Kinder ist? Von einer Zielgruppe „ab acht Jahren“ spricht der Intendant. Dass auch Kinder die Inszenierung verstehen sollen, so die Dramaturgin, sei eine Leitidee der aktuellen Arbeit gewesen – „und Kinder werden hier immer etwas finden, das sie interessiert“. Schwerer täten sich womöglich deren Eltern und Großeltern – „zumindest dann, wenn sie eine feste Vorstellung davon haben, wie Hänsel und Gretel auszusehen haben“. Die Spannung steigt. Am Sonntag wird der letzte Nebel weichen.