Die Handball-Nationalmannschaft ist am Tiefpunkt angekommen, und eine nachhaltige Besserung ist nicht in Sicht. Ein Überblick über Gründe und Ursachen.

Sport: Joachim Klumpp (ump)

Kopenhagen - Am Ende sollte Österreich helfen. Schützenhilfe aus dem Nachbarland, das in seinem abschließenden EM-Qualifikationsspiel Russland mit neun Toren schlagen musste (die Partie war bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht beendet), um dem DHB-Team als bestem Drittplatzierten in der Qualifikation noch zur EM 2014 nach Dänemark zu verhelfen. Die Nichtteilnahme hätte historische Ausmaße – so etwas gab es noch nie. Dieser erneute Rückschlag zeigt: es geht kontinuierlich bergab seit dem WM-Gewinn 2007, dem Wintermärchen. Nun aber ist Schluss mit der Märchenstunde.

 

Der Trainer Auch Heiner Brands Nachfolger Martin Heuberger konnte die Talfahrt der vergangenen Jahre nicht stoppen – zumindest nicht nachhaltig. Dabei gab es unter dem Südbadener positive Ansätze, solange die Mannschaft als Team funktionierte, doch wenn’s drauf ankam, fehlte immer etwas: auch die Taktik. „Ich finde, diese Qualifikation war ein Rückschritt“, musste selbst der 49-Jährige zugeben. Dennoch würde er gerne im Amt bleiben, sein Vertrag läuft bis 2014. Aber der designierte DHB-Präsident Bernhard Bauer hat schon angekündigt: „Eine Jobgarantie gibt es für niemanden.“ Warum auch?

Gerade gegen offensiv deckende Mannschaften tut sich die DHB-Auswahl nach wie vor schwer. Ein erfahrener Trainer wie Rolf Brack macht dafür durchaus Heubergers Vita verantwortlich: „Es wurde bei der Auswahl zu wenig Wert auf eine Expertise gelegt“, sagt der Coach des Bundesligisten HBW Balingen-Weilstetten. Dazu zählt nach seiner Ansicht eine langjährige Vereinsarbeit, die Heuberger nicht vorweisen kann. Er verbrachte die meiste Zeit als Nachwuchstrainer – durchaus erfolgreich. Wobei nach Bracks Ansicht da auch ideale Zustände herrschen, was die Vorbereitung angeht: „Heute ist es für mich fast ein Ausschlusskriterium, einen Junioren-Nationalspieler zu verpflichten, weil er in der meisten Zeit der Ligavorbereitung fehlt.“

Die Spieler Obwohl der DHB in den vergangen Jahren im Nachwuchsbereich alle Titel abräumte (Welt- und Europameister), hat sich das nicht auf die A-Nationalmannschaft niedergeschlagen. „Es fehlt an Klasse und am Mut der Vereine, letzten Endes auch mal ein Spiel verlieren zu können“, sagt Bob Hanning, der Manager des Bundesligisten Füchse Berlin und potenzieller Kandidat für den Posten Leistungssport im künftigen DHB-Präsidium. Auch Heuberger appelliert jetzt – wie sein Mentor Brand – in Sachen Spielpraxis an die Clubs: „Es ginge mit einer freiwilligen Selbstbeschränkung, wie es andere Ligen auch haben.“ Doch bisher saß den Clubverantwortlichen das Hemd näher als die Hose. Wie sagt der Torhüter Silvio Heinevetter: „Die Vereine wollen Erfolge feiern, die können keine Rücksicht nehmen.“

Die Strukturen Der Übergang von den Junioren zur A-Mannschaft verkörpert seit Jahren eine Problemzone. Nach dem WM-Titel 2007 wurden Heiner Brands Warnungen in den Wind geschrieben, doch spätestens im Misserfolg muss man zum Umdenken bereit sein. „Change-Management“, nennt Brack das. „Wir haben viele gute Ideen und fangen schon an, sie zu sammeln, damit man nicht erst im September 100 Tage braucht, um sich Gedanken zu machen“, sagt der wortgewaltige Hanning, der künftig ebenfalls an seinen Taten gemessen wird. Dass vor den wichtigsten Spielen des Jahres der Spielmacher Michael Kraus wieder in den Fokus rückte, dann – wegen längst feststehender Abiprüfungen – absagen muss, ist ein Armutszeugnis.

Der Verband Natürlich können die Funktionäre weder Tore werfen noch verhindern, doch in den vergangen Jahren galt auch hier überwiegend das bequeme Motto: Weiter so! Innovationen suchte man vergebens, dafür wurde eine Findungskommission eingesetzt, um einen passenden Bundestrainer zu suchen: Heraus kam Heuberger, die bequemste, vielleicht auch billigste Lösung. Das Fatale daran: inzwischen wird der Handball in der Öffentlichkeit kaum mehr wahrgenommen. So kam das wichtige Spiel in Montenegro nicht im Fernsehen, deutlicher kann man das Desinteresse kaum dokumentieren. Die Montenegriner klagten daraufhin über Einnahmeausfälle im fünfstelligen Bereich – der finanzielle Schaden für den DHB allerdings ist gar nicht absehbar.