Am Montagabend ist der Schlagerstar Helene Fischer in Stuttgart aufgetreten. Sie sang in der poppigen Champions-League, erinnerte in den stärksten Momenten ein bisschen an Abba und ein wenig an Udo Jürgens.

Stuttgart - Wenn man sich von Stuttgarts schönen Hügeln aus anderthalb Stunden lang in einem überhitzten Blechkasten Richtung Schleyerhalle talwärts zum Helene-Fischer-Konzert quält, dann kann es sein, dass einem im Cabrio nebenan zwei gut gefönte Frauen im mittleren Alter eine Lektion in punkto Lebenshandling erteilen. „Unverschämt, wie gut du küsst“, schallt es aus deren Hifi-Anlage, und dann der Reim: „Und ich hab dich total vermisst!“ Es singt Helene Fischer, die ziemlich gut darin ist, auch schwierige Lebenssituationen mit einem dicken Batzen Frohsinn aufzuhellen. Die beiden Frauen stehen mit ihrem Cabrio natürlich in der schnelleren Spur im Stau.

 

In der Schleyerhalle fällt der Vorhang nach acht Takten, und Helene Fischer (28), die gerade noch als Haartönungs-Werbeträgerin über die riesigen Videowände geflimmert ist, steht leibhaftig auf der Bühne. Ihr Overall strahlt so weiß wie ihre Zähne, und sie wird zweieinhalb Stunden lang ein unerschütterliches Zahnarzthelferinnen-Lächeln zeigen, das geeignet ist, auch die fieseste Wurzelbehandlung als Teil des Paradieses zu verkaufen: Wenn nicht gerade das Konzert der derzeit angesagtesten deutschen Schlagersängerin über die Bühne ginge, sondern die Präsentation einer Reklamefigur, die sich hochmotivierte Werber ausgedacht haben, um der Deutschen neue Sehnsucht nach Sauberkeit zu bedienen, es könnte die selbe Frau auf der Bühne stehen – Helene Fischer, eingewandert aus Sibirien, gefördert von der Mama und dem Produzenten Jean Frankfurter, das Supergirl unter den in die Jahre gekommenen Sangestanten der leichten Muse.

Zu Beginn schmettert sie – durchaus programmatisch – die Robbie-Williams-Nummer „Let me entertain you“ in ihr funkelndes Mikrofon, dann zwei effektvoll in Szene gesetzte Schmachtfetzen an den Märchenprinzen aus dem eigenen Repertoire, „Phänomen“ und „Von hier bis unendlich“. Die Tänzer – acht an der Zahl – wirbeln nun so ausgelassen wie Anfang des Jahrtausends bei Britney Spears, und das verträumte Brücklein auf der Bühne erfährt seine ersten Lichtverzauberungen. Überhaupt ist die Lightshow großartig, hochmodern und kreativ, und auch die zwölfköpfige (!) Band ist klasse: Eine soulig knallende Bläsersektion befeuert die professionell absolvierte Abendschicht zumeist doppelt besetzter Könner. Der Percussionist klopft fast aufrührerische Südamerika-Souvenirs in die Freiräume, die der Schlagzeuger aufreißt; der Pianist lässt Hintersinniges in die Klangteppiche des Keyboardspielers tropfen, die beiden Gitarristen und der Mann am Bass lassen es gelegentlich ordentlich brodeln. Das alles hat mit dem Humptata-Schlager der Siebzigerjahre ebenso wenig zu tun wie mit dem Reißbrett-Sound der modernen Massenabfertiger. Nein, das ist – vom Können her, und manchmal auch vom Arrangement – poppige Champions-League, die in den stärksten Momenten ein bisschen an Abba erinnert und ein wenig an Udo Jürgens.

Immer wieder singt sie von Sehnsucht

Helene Fischer kann mithalten mit diesem Großaufgebot an musikalischem Talent. Sie vermag es, ihre nicht allzu auffällige Stimme auf schimmernd zu stellen, auf glänzend glatt, aber, wenn nötig, auch auf kratzig bangend. Schade nur, dass sich diese Stimme durch die immer gleichen purzelnden Terzen turnen muss, durch melodiöse Hoffnungsbögen, an deren Krümmung sich seit Costa Cordalis’ Zeiten nicht viel geändert hat, durch Kitschtexte, in denen immer wieder das Wort „Sehnsucht“ vorkommt, weil ihre Texter von eben der nicht so recht erzählen können.

Sie selbst kann das durchaus, auf andere Art: in der siedend heißen Halle wagt die Sängerin eine Ansage, die in der sauberen Helene-Fischer-Welt so etwas wie den Versuch einer kleinen Verschwörung markiert: „Ihr Lieben“, sagt sie, „wir stellen uns vor, wir sind alle zusammen in einem großen Fitnessstudio, und es ist uns hinterher egal, wie wir aussehen!“ Natürlich verhindert ein Ventilator am Bühnenrand, dass sich ihre kleine Aufmüpfigkeit in verklebten Starsträhnen manifestiert, schließlich steht Helene Fischer einem Schlagerfest vor und keinem Punkkonzert, auch wenn sie im späteren Verlauf des Abends erstaunlich bruchlos „Tage wie diese“covert, den letztjährigen Hit der Toten Hosen.

Aber täuscht der Eindruck oder singt sie im unvermeidlichen Schlagermedley das einst von Karel Gott intonierte Lied von der „Biene Maja“ noch ein bisschen leidenschaftlicher als Udo Jürgens’ „Griechischen Wein“? „Maja, alle lieben Maja!“, schwelgt sie, und vielleicht besteht darin ja das Helene-Fischer-Geheimnis, das Alte wie Junge gleichermaßen in die mit 10.000 Zuschauern ausverkaufte Schleyerhalle zieht: dass dieser mit allen einschlägigen Supergirl-Attributen ausgestattete Schlagerstar es glaubhaft schafft, das emsig nette Pummelchen aus der Tierwelt zum logischen Rollenmodell auch für den nicht ganz so perfekten Fan emporzusingen.

Und noch etwas zeigt die „Biene Maja“: dass Fischer mit ihren Liedern zu wachsen vermag. Dass sie in starken Songs fremder Leute um Klassen besser ist als in dem Instantkitsch über Sehnsucht und kontrolliertes Über-die-Stränge-Schlagen, den man ihr verblüffend ungenau auf den Leib zu schneidern versucht hat. In „Somewhere“ aus der „West Side Story“ vertraut sie noch auf ihre Stimmwucht, im Sarah- McLachlan-Song „In the Arms of an Angel“ wächst sie allein mit ihrem Pianisten über sich hinaus: Nun spielt sie mit Dynamik, nun träumt, hofft und gestaltet sie und sehnt sich hinreißend nach der Freiheit, die auch darin bestehen mag, am Ende einer Hitzeschlacht verschwitzt auszusehen.

Und wie sieht Helene Fischer am Ende des Abends aus? Blendend natürlich. Kein bisschen abgekämpft. Aber sie hatte nicht nur den Ventilator. Sie hat sich auch dreimal umgezogen. Wenn man wollte, könnte man sagen, dass sie einen Abend lang hübsch geflunkert hat.