Im Mai wird in Schleswig-Holstein der Landtag gewählt. Die Umfrageergebnisse sind schlecht für die Freien Wähler. Das könnte sich mit Hans-Olaf Henkel ändern.  

Kiel - Ein Schirm wäre jetzt gut. Ohne ihn wird man sofort klatschnass. Schneeregen peitscht über den Parkplatz vor der Sparkassen-Arena von Kiel. Es ist dunkel und leer, der Stadionwurststand hat geschlossen. Hier treffen sich sonst die Handballverrückten, um ihren THW spielen zu sehen. Aber heute spielt Deutschland sein erstes EM-Hauptrundenspiel in Serbien. Die Fans sitzen zu Hause vor dem Fernseher.

 

Ein schlechter Tag, um von Kiel aus die Welt zu verändern. Aber deshalb ist Hans-Olaf Henkel ja gar nicht hergekommen. "Ich bilde mir nicht ein, Großes bewirken zu können", sagt er. Im feinen nachtblauen Anzug sitzt er in der Business-Lounge der Arena. "Ich bemühe mich nur aufzuklären." Das ist ein kleiner, bescheiden klingender Satz. Wenn man Hans-Olaf Henkel länger zuhört, dann kommt einem der Satz nicht mehr so bescheiden vor. Dann klingt es fast so, als könnte hier, an einem Samstagabend in Kiel, im besten Fall ein neues Zeitalter der Aufklärung losbrechen. Wenn die Leute - und vor allem die Politiker - doch nur endlich Vernunft annähmen.

Vorerst sind es nur knapp 70 Personen, die dazu überhaupt die Möglichkeit haben. So viele sind gekommen zum Wahlkampfauftakt der Freien Wähler Schleswig-Holstein. "Rettet unser Geld", ist der Titel des Abends, so heißt auch das neueste Buch des Euroskeptikers Henkel. Am 6. Mai wird hier der Landtag gewählt, und bis jetzt verbirgt sich die Partei in den Umfragen irgendwo im Sonstigen-Nirwana. Alles könnte jetzt anders werden. Denn im Dezember ist Hans-Olaf Henkel "per Handschlag" Parteimitglied geworden. Wo er doch in 71 Lebensjahren genau dies immer vermieden hat. Was er nie vermieden hat, war, der Politik und den Wählern seine Meinung zu sagen - als IBM-Manager, als BDI-Chef und Dauertalkshowgast.

"Europolitik ist eine griechische Tragödie"

Mittlerweile aber sind zwei Dinge passiert. Die FDP, der Henkel nahestand, hat ihn mit ihrem Bekenntnis zum Europäischen Rettungsschirm maßlos enttäuscht. Und die Republik hört ihm womöglich nicht mehr so oft zu wie früher. Aber Henkel findet seine Beiträge gerade jetzt wichtig, denn die "Europolitik ist eine griechische Tragödie". Man meint zu spüren, wie sehr er den großen Resonanzboden sucht, wenn er darüber klagt, wie er "in Talkshows nicht die Möglichkeit hat, das Thema ordentlich aufzudröseln".

Denn er hat noch etwas zu sagen. Das wurde mal so verstanden, als wolle er eine neue Partei gründen. Er hat das dementiert. Aber es ist ein Gedanke, der auf dem Spielfeld der politisch Etablierten nervöse Reaktionen hervorruft, je nachdem, welche Namen dazu eingewechselt werden: Henkel, Merz, Sarrazin, Guttenberg.

Und es mag ein Gedanke gewesen sein, der die Freien Wähler hat auf Henkel zukommen lassen. Denn wozu gründen, was es gibt? "Auf der Suche nach einer Plattform für meine liberalen Ideale" habe er die Partei entdeckt, sagt Henkel. Nun will er helfen, wenn sie 2013 erstmals bei der Bundestagswahl antritt.

Da haben sich zwei getroffen

Und in der Zwischenzeit anderswo.

"Kiel ist der Versuch, in sumpfigem Gebiet ein paar Bretter auszulegen und zu sehen, ob es trägt." So sagt es Hubert Aiwanger, Bundesvorsitzender der Freien Wähler und Abgeordneter des bayerischen Landtags. Sein schönes, kehliges Bayrisch kämpft mit dem Publikum im Norden und einer bösen Erkältung. Aber der Termin ist wichtig, er könnte der Anfang von etwas sein. Auch Aiwanger ist ein Mann mit Ambitionen. Da haben sich zwei getroffen.

Die Freien Wähler leben in den Kommunen. Und sie leben von ihrem Selbstverständnis, eben keine Partei zu sein, sondern eine Bürgerbewegung, denen es um die Sache geht. Aiwanger nennt sie mit ihren 300.000 Mitgliedern die "größte Bürgerbewegung der Republik" - sie ist in Bayern stark und in Baden-Württemberg. Es sind Leute, die sich seit Jahrzehnten in ihrem Ort engagieren. Und jetzt? Es scheint, als hätten da zwei die Möglichkeit erkannt, aus einer kommunalen Bewegung ein Sammelbecken für Enttäuschte zu machen.

Henkel will ein Mandat höchstens im Notfall

Das Kieler Publikum - so klein es ist - bestätigt die These. Es lauscht da freundlich bis interessiert, wo Hans-Olaf Henkel seine Idee zu einer Nord- und einer Südwährung im Euroraum erläutert. Da, wo er von den Denkverboten spricht, die es gebe, davon, wie Leute wie er "zur Sau gemacht" würden, wenn sie der Politik widersprächen, da hat er sein Publikum. Wenn er von "denen" spricht, die "ihre Fehler nicht zugeben", dann wird geklatscht. Er erntet Raunen für seine Schelte eines "Systems der organisierten Verantwortungslosigkeit". Er trifft auf wissende Mienen, als er vom Rücktritt des Eurokenners Horst Köhler in den Tagen des Rettungspakets berichtet und beredt darüber schweigt, worin die wahren "persönlichen Gründe" dafür gelegen haben mochten. Applaus.

"Da ist Musik drin", sagt Henkel. Aiwanger lächelt dazu. Er sieht die Sache seit einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin so: "Wenn der Aiwanger auftritt, kommt vielleicht die Putzfrau." Aber mit Henkel sei das anders. Und so nickt Aiwanger höflich, wenn Henkel berichtet, er wolle den neuen Freunden "etwas beim Wahlprogramm helfen" mit Vorschlägen zur direkten Demokratie, zu weniger Zentralismus. Ein Mandat, so sagt Hans-Olaf Henkel, das wolle er nicht. Höchstens im Notfall. Man kann ja die Republik nicht alleinelassen.